3.
Und als Dieß Petrus und sein Begleiter wahrnahmen, glaubten sie, indem sie nicht bloß einfach, sondern auch mit dem besseren und apostolischen Geiste sahen. Denn das Grab war voll von Licht, so daß sie, wenn es auch noch Nacht war, das Innere in doppelter Weise sahen, sowohl durch sinnliche als auch durch geistige Wahrnehmung. Denn wenn nach der Schrift den Gerechten stets Licht zu Theil wird,1 gilt das viel mehr von dem Gott der Gerechten. Sie glaubten aber nicht, sagt er, da sie die Schrift noch nicht verstanden, daß er von den Todten auferstehen müsse.2 S. 331 Und doch wußten sie es, da der Erlöser ihnen oft vorherverkündet hatte, daß er auferstehen werde, aber nicht wie von der Schrift überzeugt und von den Vorhersagungen, die dort vorkommen, von denen es unmöglich war, daß sie sich nicht erfüllten, sondern als Solche, die noch im Glauben schwankten. Daß aber Jesus nackt, ohne die Leintücher, auferstanden ist, deutet an, daß er niemals mehr im Fleische wird erkannt werden als Einer, der Speise oder Trank oder die Umhüllung der Kleider bedürfen wird. Und indem er die Heilsordnung vollzog, unterwarf er sich dem freiwillig, da er an der nämlichen Natur wie wir Theil nahm, dann aber zeigt er auch die Rückkehr des Adam in den alten Zustand, als er im Paradiese nackt war und sich nicht schämte. Fortan ist er als Gott, wenn auch im Fleische, in ganz göttliche Herrlichkeit gehüllt, da er es ist, der, wie der Prophet David sagt, Licht wie ein Kleid anzieht.3
Petrus und Johannes, gläubig geworden durch Das, was sie gesehen, kehrten nach Hause zurück, der Maria aber sagten sie Nichts. Denn es ordnete der allein Weise es so, daß er sie von ihrem Unglauben mehr durch Das, was sie sah, als was sie hörte, zurückbrachte. Sie stand also aussen vor dem Grabe und weinte. Und als sie sich vorwärts neigte, sah sie zwei weisse Engel in schimmerndem Gewande, von denen der eine am Haupte, der andere bei den Füßen saß an der Stelle, wo der Leichnam Jesu geruht hatte. Und obschon sie ihr Weinen hätte in Freude verwandeln sollen, so ließ sie doch von ihren Thränen nicht ab, so daß die Engel wie mit einem Vorwurf sagten: „Weib, warum weinst du?“ wie wenn sie sagten: Diese Thränen sind weibisch und zeigen keinen verständigen Sinn. Denn wie läßt sich nach solchem Anblick das Weinen rechtfertigen? Und Jene ließ vom nämlichen Unglauben nicht ab, ― denn der leidende Zustand dauerte fort, damit sie durch S. 332 allmählige Zunahme zum Glauben vollkommen gereinigt würde, ― und sagte zu ihnen: „Weil sie meinen Herrn aus dem Grabe genommen haben und ich nicht weiß, wo sie ihn hingelegt haben.“4 Und als sie das gesagt hatte, wendete sie sich um und sah Jesum stehen und wußte nicht, daß es Jesus wäre, theils weil sie in Folge der Thränen umdunkelt und wie von Finsterniß beschwert war, theils weil Jesus es so einrichtete, daß er von ihr nicht erkannt wurde. Deßhalb sagte er auch: „Weib, warum weinst du? Wen suchst du? Jene glaubte, es sei der Gärtner und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggetragen hast, so nenne mir die Stelle, wo du ihn hingelegt, und ich werde ihn fortnehmen.“ Vielleicht aber hat sie nicht unpassend Jesum für den Gärtner angesehen. Denn in der That war er der wahre und unsterbliche Bebauer des Paradieses, der im Garten des Grabes wie im Paradiese das Weib zur Besserung führte, das aus Ungläubigkeit den Adam, den ersten Gärtner, hintergangen hatte. So ist also Alles geheimnißvoll und erfüllt von göttlichem und erhabenem Sinne. Aber als Maria das gesagt hatte und bei der Aufsuchung des Leichnams krankhaft aufgeregt war und bereits sich zum Rückweg anschickte, da entriß sie Derjenige, welcher bis zur Trennung der Seele und des Geistes, der Knochen und des Markes dringt und die Gesinnungen und Gedanken des Herzens erforscht,5 da er sie hinlänglich geängstigt sah, durch ein einziges Wort dem Unglauben und stärkte den Blick des Weibes, ihn zu erkennen, indem er nur, da er selbst sie erkannte, an sie gewendet ausrief: Maria! Und plötzlich wendete sie sich um und sprach zu ihm: Rabuni, d. h.: „Meister.“ Und sie suchte jene göttlichen Füße zu umklammern und vernahm die Worte: „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater aufgestiegen.“ Da du bereits die Gnade dieses Wortes erlangt, will er sagen, und mich mit der andern Maria berührt und S. 333 angebetet und meine Füße umschlungen hattest, so hast du doch vor mir eine so geringe Achtung gehabt, daß du ungläubig warst, und hattest keine hohe Meinung von mir, sondern suchtest mich noch im Grabe, der ich in göttlicher Kraft oben bei dem Vater war. Und jetzt rühre mich nicht an, wenn du in gleicher Gesinnung glaubst, daß ich noch nicht zum Vater aufgestiegen sei. Denn nach deiner Meinung bin ich noch nicht zum Vater aufgestiegen. Vielmehr gehe zu meinen Brüdern und sage es ihnen: „Ich steige auf zu meinem Vater und euerm Vater, zu meinem Gott und zu euerm Gott.“ Da ich, will er sagen, dem Fleische nach der Erstgeborne unter vielen Brüdern bin, so will ich jetzt nicht für mich, sondern für euch Brüder dem Leibe nach aufsteigen zu meinem Vater und euerm Vater, zu meinem Gott und euerm Gott. Denn wenn er nicht mein Gott genannt würde, da er in mir die Tadellosigkeit der menschlichen Natur sieht, weil ich die Sünde nicht kenne, wie das Menschengeschlecht im Urzustande, so würde er nicht euer Vater oder der Gott Derjenigen heissen, die ihm entfremdet sind. Deßhalb sagte auch Paulus im Brief an die Hebräer: „Denn nicht in ein von Menschenhänden gemachtes Heiligthum, als in das Bild des wahren, ist Christus eingetreten, sondern in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor dem Angesichte Gottes zu erscheinen.“6
Es geht nun Maria Magdalena hin und meldet den Jüngern, daß sie den Herrn gesehen und er Dieß zu ihr gesprochen hat. Als sie aber angelangt ist und ihre Botschaft hinterbracht hat, findet sie wieder die Maria, die Tochter des Jakobus und der Johanna, und Andere ausser ihnen, welche mit einem Vorrath von Wohlgerüchen und Salben zum Grabe eilten, als das Dunkel wich und der Morgen dämmerte, das heißt mit genauer Noth soeben seinen ersten S. 334 Anfang nahm, wie Lukas sagt,7 und indem sie sich zu denselben gesellte, ging sie mit ihnen und schien wegen ihres heissen Verlangens nach Jesus unter ihnen den Vorrang zu haben, da sie von den Evangelisten auch zuerst aufgeführt ist, wegen des Ansehens, das sie hiedurch erlangte. Denn sie hatte das Verlangen, daß auch sie nicht durch Das, was sie von ihr und der andern Maria hören würden, sondern durch die göttliche Erscheinung selbst oder durch die von Engeln zum Glauben an die Auferstehung gelangen möchten, und sie wandelte unter ihnen in vernünftigem Stillschweigen, indem sie zu ihnen auf dem Wege kein Wort sagte, sondern das Zeugniß der Thatsachen abwartete und sich dem Glauben hingab, auch sie würden mit eigenen Augen auf irgend eine besondere Weise sich überzeugen. Und als sie nun den Stein vom Grabe weggewälzt sahen, traten sie ein, und als sie den Leichnam Jesu nicht fanden und in Verlegenheit waren, sahen sie zwei Männer in strahlenden Kleidern vor sich stehen und vernahmen von ihnen die Worte: „Was sucht ihr den Lebenden unter den Todten? Er ist nicht hier, sondern auferstanden“ u. s. w.8 Und sie kehrten, heißt es, vom Grabe zurück und meldeten Dieß alles den Eilfen und allen Übrigen. Aber als ob sie zum großen Haufen gehört hätten, waren sie noch ungläubiger, spotteten über die Meldung und verachteten sie. Denn ihre Worte erschienen ihnen als leeres Gerede, und sie glaubten ihnen nicht, so daß Petrus bei ihrem Unglauben sich erhob und selbst allmählig in Verwirrung versetzt und schwankend gemacht wieder zum Grabe eilte, hineinschaute und wieder die Leintücher liegen sah wie damals, als er früher hineingetreten war und die Sache genauer in Augenschein genommen hatte, weßhalb er sich begnügte, nur hinzuschauen, und, als er keine Änderung wahrnahm, wieder verwundert und erstaunt über den Vorfall und unter Lobpreisungen Desjenigen, der Dieß in’s Werk gesetzt hatte, S. 335 fortging. Und wieder lief Maria Magdalena, wie sie mit den Begleiterinen der Johanna, welche Salben und Wohlgerüche trugen, die sie vor dem Sabbat hergerichtet hatten, bei der ersten Dämmerung gegangen war, in der nämlichen Weise auch mit Salome, einem zu den übrigen Genannten neu hinzugekommenen Weibe, das wohl spät, aber gleichwohl Wohlgerüche, wenn auch nach dem Sabbat gekauft hatte, unverdrossen mit der nämlichen Gesinnung mit und nahm auch Maria, die Tochter des Jakobus, mit sich, so daß sie auch gemeinsam die Wohlgerüche angekauft zu haben scheinen. Denn da sie den Weg gemeinsam machten, so überlegten sie die ganze Unternehmung gemeinsam. Und ganz frühe am ersten der Sabbate gehen sie zum Grabe.