Sechs und zwanzigstes Kapitel. Vertheilung der Gothischen Jugend in Asien, und schröcklich treulose Ermordung derselben.
1. Der Orient aber war dem gänzlichen Untergange ziemlich nahe, und zwar aus folgender Ursache. Da die Hunnen auf die erzählte Art, die jenseits des Ister wohnenden Völker überfallen hatten, und die Skythen den Angriff nicht aushalten konnten, so baten sie den damals regierenden Valens, [J 378.] sie in Thrakien aufzunehmen: sie wollten die Pflicht treuer Bundsgenossen und Unterthanen erfüllen, und in allem gehorchen, was S. 44 ihnen der Kaiser befehle. 2. Durch diese Gründe bewogen, nahm Valens sie auf. Weil er aber glaubte, von ihrer Treue nur dann sichere Bürgschaft zu haben, wenn er Anstalt machte, daß ihre Kinder, die noch nicht mündig wären, in einer andern Provinz sich aufhalten; so schickte er eine große Menge derselben in den Orient, und trug dem Julius, den er um seines Verstandes willen für tüchtig dazu hielt, auf, für ihre Erziehung und Bewachung zu sorgen. 3. Er vertheilte sie daher in Städte umher, damit die Jugend der Barbaren, deren hier eine solche Menge versammelt war, keine Gelegenheit hätte, Aufruhr zu erregen, und, auch von ihrem Vaterlande entfernt, sich nicht zusammen verschwörte. 4. Indem sie nun in diesen Städten lebten, und an Alter indessen zugenommen hatten, erhielten sie Nachricht von dem, was mit ihren Landsleuten in Thrakien vorgefallen war1. 5. Diese Botschaft brachte sie auf. Die in der nämlichen Stadt waren, unterredeten sich, und heimlich machten sie’s auch denen kund, die in andern Städten wohnten, daß sie entschlossen seyen, ihre Eltern und Landsleute durch den Ueberfall der Städte zu rächen. 6. So bald Julius diesen Entschluß erfuhr, und in Verlegenheit darüber gerieth, weil ihm vor einer schnellen Unternehmung der Barbaren, was sie auch unternähmen, bange war; so beschloß er, den Entwurf nicht dem Theodosius zu eröffnen, theils weil dieser in den S. 45 Gegenden Makedoniens sich aufhielt, theils weil ihm der Auftrag nicht vom Theodosius, sondern vom Valens ertheilt, theils weil er ihm, als damaligem Herrscher fast noch nicht bekannt war: sondern er schrieb insgeheim an den Senat in Konstantinopel. Als nun dieser ihm auftrug, zu thun, was er gut fände, so wandte er die, über den Städten schwebende Gefahr auf folgende Weise ab. 7. Er rief alle, die über die Rotten der Soldaten gesetzt waren, zu sich, nahm einen Eid von ihnen, und theilte ihnen dann seinen Entschluß mit. 8. Sobald diese vernommen hatten, was sie thun sollten, verbreiteten sie unter den, in den Städten wohnenden, Barbaren das Gerüchte: der Kaiser wolle sie mit sehr ansehnlichen Geschenken belohnen, und nicht nur Geld, sondern auch Land unter sie austheilen, damit sie gegen ihn und die Römer desto besser gesinnt würden. 9. Darum sollten sie in den Hauptstädten sich versammeln, und es wurde ein Tag dazu bestimmt. 10. [J. 378] Durch diese Hoffnungen erweckt, schoben sie ihren Zorn und den beschlossenen Untergang der Städte ein wenig auf, erwarteten den angesagten Tag, und strömten dann hin, wohin jedem zu gehen befohlen war. 11. Die Soldaten, welche die Verabredung wußten, besetzten die an den Marktplätzen gelegenen Häuser, und warfen die hereinkommenden Barbaren mit Steinen und Geschossen, bis sie alle S. 46 vertilgten, und so die Städte des Morgenlandes von der über ihnen schwebenden Gefahr, befreieten2.
Von dem Siege des Modares etc. ↩
Ammianus etc. auch Gibbon, lassen diese treulose Ermordung der jungen Gothen nach der Niederlage des Valens geschehen, und nicht erst nach dem Siege des Modares über die Gothen. Es ist auch wahrscheinlicher, daß die Schlacht bei Adrianopel ihnen den Muth machte, sich so in den Besiz von Asien zu setzen, wie es ihre Väter von Thrakien waren. Wie aber Gibbon (S. 390.) die jungen Gothen einen Zeitraum von ungefähr zwölf Jahren in Asien wohnen lassen kann, da die Auswanderung über die Donau und die Versetzung nach Asien erst i. J. 375. geschahe, begreife ich nicht. Was Eunapius etc. von der Menge, Stärke und Kraft, dem schnellen Wachsthume etc. dieser Gothischen Jünglinge erzählt, scheint nur geschehen zu seyn, um diesen politischen Meuchelmord zu entschuldigen ↩
