21.
Wenn sie ihren Göttern überhaupt nur fleischliche Natur und Blut und Samen und die Affekte des Zorns und der Begierde beilegten, auch dann schon S. 299 müßte man solche Reden für eitel und lächerlich halten. Denn in der Gottheit gibt es keinen Zorn, auch keine Begierde und Neigung, auch keinen zeugenden Samen. Mögen ihre Götter immerhin eine fleischliche Natur haben, so sollten sie doch erhaben sein über Aufwallung und Zorn; Athene sollte sich nicht sehen lassen "eifernd dem Vater Zeus, und ihr tobte das Herz in Erbitterung" 1 von Hera sollte man nicht sagen müssen: "Here nur konnte den Zorn nicht bändigen, sondern begann so" 2 Auch sollten sie erhaben sein über den Schmerz.
„Wehe doch! Einen Geliebten, verfolgt um die Mauer von Troja, Seh’ ich dort mit den Augen; und ach, sein jammert mich herzlich“ 3.
Ich nenne schon einen Menschen, der sich von Zorn oder Schmerz besiegen läßt, unsinnig und töricht. Wenn aber gar der Vater der Menschen und Götter über seinen Sohn jammert:
„Wehe mir, wenn das Geschick Sarpedon, meinen Geliebten, Unter Patroklos Hand, des Menötiaden, mir bändigt!“ 4
ohne ihn durch seine Klagen der Gefahr entreißen zu können
"Zeusentsproßter Sarpedon: doch Zeus kann dem Sohne nicht helfen“ 5,
wer sollte da denen, die durch solche Erzählungen ihre Liebe zum göttlichen oder vielmehr ihre Unkenntnis des göttlichen bekunden, nicht Unsinnigkeit vorwerfen? Mögen die Götter immerhin fleischlicher Natur sein, so sollte doch Aphrodite von Diomedes nicht körperlich verwundet werden:
„Mich hat verletzt der Tydide, der trotzige Held Diomedes“ 6 S. 300
oder von Ares nicht seelisch:
„Wie mich Lahmenden hier die Tochter des Zeus Aphrodite immer der Ehre beraubt und liebt den verderblichen Ares!“ 7
[Diomedes verwundete sogar den Ares] „und die blühende Haut ihm zerriß er“ 8. Der gewaltige Kriegsgott, des Zeus Kampfgenosse gegen die Titanen, erscheint schwächer als Diomedes! „Wutvoll tobt er wie Ares mit raffendem Speer“ 9. Homer, sei still! Ein Gott tobt nicht. Du aber schilderst mir den Gott als bluttriefenden Menschenmörder – „Ares, o Ares voll Mord, bluttriefender“ 10 - und erzählst mir von seinem Ehebruch und seiner Fesselung: „Beide bestiegen das Lager und schlummerten; plötzlich umschlangen Rings sie die künstlichen Bande des gar sinnreichen Hephaistos Und kein Glied zu bewegen vermochten sie“ 11.
Oder reden sie etwa nicht soviel gottloses Zeug über ihre Götter? Uranos wird entmannt, Kronos gefesselt und in den Tartaros geworfen, die Titanen empören sich, Styx findet im Kampfe ihren Tod - schon gelten die Götter für sterblich! Sie verlieben sich ineinander, sie verlieben sich in Menschen:
„Aineias, den Anchises erzeugte mit Aphrodite, Als im Idagehölz hinsank zu dem Manne die Göttin“ 12.
Aber Götter verlieben sich nicht, Götter leiden nicht. Denn entweder sind es Götter und dann wandelt sie keine Begierde an [oder es sind keine Götter]. Wenn ein Gott infolge göttlichen Ratschlusses Fleisch annehmen sollte, ist er damit schon ein Sklave der Begierde? S. 301
„Denn so sehr hat keine der Göttinnen oder der Weiber Je mein Herz im Busen mit mächtiger Glut mir bewältigt, Nicht als in Lieb ich erglühte für Ixions Lagergenossin, Noch da ich Danae liebt, Akrisios reizende Tochter, Noch auch Phönix’ Tochter, des ferngepriesenen Königs, Noch da ich Semele liebt, auch nicht Alkmene von Theben, Noch da ich einst die erhabne, die schöngelockte Demeter Oder die herrliche Leto umarmte oder dich selber“ 13.
Wer so spricht, ist geworden und vergänglich und hat nichts Göttliches an sich. Ja sie leisten sogar den Menschen Knechtesdienste:
„O des Admetos Haus, worin ich es ertrug Den Knechtestisch zu loben, obschon ich selbst ein Gott“ 14
und gefallen sich als Rinderhirten:
„Ich kam in dieses Land und ward dem Gastfreund Hirt Und rettete dies Haus“ 15. Also ist Admetos stärker als der Gott. O du weiser Seher, der du voraussiehst, was den andern begegnen wird, du hast den Tod des Geliebten nicht vorausgesehen, sondern sogar mit eigener Hand den Freund getötet – „Da hofft’ ich, truglos werde Phoibos’ Göttermund Mir sein, der kunstreich Weissagungen sprudelnde“ 16, S. 302 so daß Aischylos den Apollo einen Lügenpropheten schilt:
„Er aber selbst, der Sänger, der selbst dieses sprach, Er selbst, von damals Hochzeitsgast, ist selber nun Des Sohnes Mörder" 17.
-
Ham. Il. 4,23. ↩
-
Ebd. 4,24. ↩
-
Ebd. 22,168.169. ↩
-
Ebd. 16,433.434. ↩
-
Ebd. 16, 522. ↩
-
Ebd. 5,376. ↩
-
Hom. Od. 8,308.309. ↩
-
Hom. Il. 858. ↩
-
Ebd. 15,605. ↩
-
Ebd. 5,31. ↩
-
Hom. Od. 8,296-298. ↩
-
Hom. Il. 2,820.821. ↩
-
Hom. Il. 14,315-317.319.321.323.326.327. ↩
-
Eurip. Alk. 1.2. ↩
-
Ebd. 8.9. ↩
-
Aischylosfragment, erhalten in Platos Staat 383 b; übersetzt von Schleiermacher. ↩
-
Aischylosfragment, erhalten in Platos Staat 383 b; übersetzt von Schleiermacher. ↩