68.
1. Tryphon: „Wenn du zu beweisen wagst, S. 111 daß Gott geboren werden und Mensch werden wollte, dann wagst du ja etwas fast Unglaubliches und Unmögliches.“
Ich versetzte: „Wenn ich mich anschicken würde, den Beweis hierfür auf menschlichen Lehren oder Erwägungen aufzubauen, dann bräuchtet ihr euch nicht mit mir abzugeben. Wenn ich aber euch so viele einschlägige Schriftstellen so oft erwähne und euch dieselben verständlich machen will, dann seid ihr in euren Herzen zu verhärtet, um Gottes Denken und Wollen zu verstehen. Für den Fall aber, daß ihr stets so bleiben wollt, hätte ich für mich keinen Nachteil; wenn ich mich von euch verabschiede, ist mein Besitz immer noch der gleiche wie vor unserem Zusammentreffen.“
2. Tryphon: „Siehe, mein Freund, da du mit vieler Mühe und Anstrengung zu diesem Besitz gelangt bist, so müssen nun auch wir unter sorgfältiger Prüfung aller Fragen, die auftauchen, dem beistimmen, wozu uns die Schrift veranlaßt.“
Ich erwiderte darauf: „Meine Bitte lautet nicht: Kämpfet nicht auf alle Weise um die Erforschung der aufgeworfenen Fragen! Sie heißt vielmehr: Widersprechet nicht von neuem ohne Grund den Lehren, welchen ihr zuzustimmen erklärt habt!“
3. Tryphon: „Wir wollen es versuchen.“
Ich fuhr fort: „Fragen, welche ich eben erst an euch gerichtet habe, möchte ich noch einmal an euch stellen. Denn durch diese Fragen werde ich mich zu einem raschen Ende des Disputes durchringen.“
Tryphon: „Stelle die Fragen!“
Ich fragte: „Glaubt ihr denn, daß es außer dem Weltschöpfer und außer Christus, der, wie euch so viele Schriftstellen beweisen, Mensch geworden ist, noch jemanden anderen gibt, der in der Schrift als anbetungswürdig und als Herr und Gott bezeichnet wird?“
4. Tryphon: „Wie können wir das behaupten, da wir es so sehr in Frage stellten, ob es außer dem Vater allein (überhaupt) noch einen anderen gibt?“
Ich entgegnete: „Auch diese Frage muß ich an euch richten, damit ich weiß, ob ihr etwa das, was ihr bereits zugegeben habt, wieder leugnet.“
S. 112 Jener: „Ich leugne es nicht, mein Herr.“
Ich erwiderte: „Ihr bleibt also wirklich dabei? Und wenn der Logos erklärt1 : ‚Wer wird sein Geschlecht aufzählen’, müßt ihr es nicht nunmehr auch einsehen, daß Jesus nicht von menschlichem Geschlechte stammt?“
5. Tryphon: „Wie kommt es nun, daß der Logos zu David sagt, Gott werde sich aus dessen Lenden einen Sohn erwecken und ihm werde er das Reich aufrichten und werde ihn setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit?“2.
6. Ich antwortete: „Tryphon, wenn die Isaiasprophetie3 : ‚Siehe, die Jungfrau wird empfangen’ nicht an das Haus David gerichtet wäre, sondern an ein anderes Haus der zwölf Stämme, dann hätte die Sache wohl ihre Schwierigkeit. Die Prophetie selbst aber ist zum Hause David gesprochen4, und Isaias führte nun aus, in welcher Weise das von Gott an David geheimnisvoll gerichtete Wort sich verwirklichen werde. Das dürftet ihr wohl wissen, mein Freunde“, fuhr ich fort, „daß viele rätselhafte und in Gleichnissen, Geheimnissen oder symbolischen Handlungen ausgedrückte Lehren von den Propheten einer späteren Geschichte ausgelegt wurden.“
7. „Wir wissen es wohl“, versetzte Tryphon.
„Wenn ich nun nachweise, daß diese Isaias-Prophezeiung auf unseren Christus, nicht jedoch wie ihr behauptet auf Ezechias gesagt ist5, soll ich nicht auch hierin euch veranlassen, euren Lehrern abwendig zu werden, welche zu behaupten wagen, daß die Übersetzung eurer siebzig Ältesten, die bei Ptolemäus, dem König S. 113 der Ägypter, waren, in manchen Punkten unglaubwürdig sei? 8. Wenn nämlich eine Stelle in der Schrift deutlich und offenkundig euren Lehrern törichtes und selbstsüchtiges Denken vorwirft, dann erklären sie in ihrer Verwegenheit: so steht nicht geschrieben. Meinen sie aber, etwas rationalistisch umdeuten und erklären zu können, dann behaupten sie, die Stelle sei nicht auf unseren Jesus Christus, sondern auf eine ihnen erwünschte Person gesagt. So haben sie euch auch gelehrt, daß an der Schriftstelle, von welcher wir gerade reden, Ezechias gemeint sei, was, wie ich meinem Versprechen gemäß6 beweisen werde, eine lügenhafte Behauptung von ihnen ist. 9. Wenn wir ihnen die Schriftstellen nennen, welche ich euch oben zitiert habe, in welchen ausdrücklich die Leidensfähigkeit, Anbetungswürdigkeit und Göttlichkeit Christi bewiesen wird, dann sehen sie sich zwar zu dem Geständnis veranlaßt, daß dieselben auf Christus gesagt sind, erkühnen sich aber zu behaupten, Jesus sei nicht der Christus, trotzdem sie zugeben, daß Gott kommen werde, daß er leide7 und herrsche, und daß man ihn anbete. Ein lächerliches und törichtes Verhalten, wie ich auch beweisen werde! Doch da es mich drängt, zunächst auf das zu erwidern, was du in lächerlicher Weise vorgebracht hast, werde ich darauf Antwort geben. Später werde ich die Beweise für die übrigen Thesen bringen. yyy
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Is. 53, 8. ↩
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Vgl. Ps. 131, 11; 2 Kön. 7, 12-16; Apg. 2, 30. ↩
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7, 14. ↩
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Is. 7, 13. ↩
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Die göttliche Prophezeiung „Siehe, die Jungfrau wird empfangen ---„ wird von Isais weiter unten ausgeführt im Anschluß an die von Justin Dial. 43,6 und 66,3 zwischen Is. 7,16a u. 7,16b eingeschaltete Erklärung Is.8,4: „Denn es wird der Knabe, ehe er Vater und Mutter rufen kann, die Kraft von Damaskus und die Beute Samarias erhalten vor dem König der Assyrer“. Wie Is.8,4 zu verstehen ist, erklärt Justin in 77,3 f. u. 78,9. ↩
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Vgl. 43, 8. ↩
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Jüdische Exegeten des 2. Jahrhunderts anerkannten also einen leidenden Messias; vgl. Kap. 89,2. Wie sich aus 90,1 ergibt, machten sie sich mit dem Gedanken vertraut, daß der Messias zur Sühne der Sünden leide. Die Darstellung Justins läßt vermuten, daß die jüdischen Gelehrten durch ihre Disputation mit den Christen sich zu diesen Konzessionen gedrängt sahen. ↩