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Œuvres Tatien le Syrien (120-173) Oratio ad Graecos Rede an die Bekenner des Griechentums (BKV)

25.

(1) Was für Großes und Bewunderungswürdiges tun denn euere Philosophen? Sie tragen die eine Schulter entblößt und lassen die Fülle des Haares herabfallen und den Bart wachsen1 und gehen mit S. 233 Nägeln umher wie die wilden Tiere und behaupten, keines Menschen zu bedürfen, obwohl sie wie Proteus2 den Gerber wegen des Ranzens, den Weber wegen des Mantels, den Holzhauer wegen des Stockes, die Reichen und den Koch wegen ihrer Schlemmerei nötig haben. (2) O du Mensch! dem Hunde willst du es nachtun, denn da du Gott nicht kennst, bist du auf die Nachahmung unvernünftiger Tiere verfallen3. Nachdem du es öffentlich ausgeschrien hast, sitzest du scheinheilig über dich selbst zu Gericht, und wenn man dir dann nichts gibt, so schimpfst du und die Philosophie wird dir zur Kunst des Erwerbes4. (3) Du folgst den Lehren Platons, aber der Schüler Epikurs stellt sich dir mit weithin gellender Stimme entgegen; du wirst dich hinwiederum nach Aristoteles richten5 und irgendein Anhänger Demokrits verhöhnt dich. (4) Pythagoras sagt, er sei Euphorbos gewesen, und folgt der Lehre des Pherekydes6; Aristoteles aber verlästert die Unsterblichkeit der Seele. (5) Da die philosophischen Systeme, die ihr habt, einander widersprechen7, so kämpft ihr, unter euch uneins, gegen diejenigen, die unter sich einig sind. (6) Da sagt einer, der vollkommene Gott sei ein Körper, ich aber sage, er ist körperlos; die Welt sei unzerstörbar, ich dagegen, sie wird zerstört; zu gewissen Zeiten werde sich eine Verbrennung der Welt abspielen, ich dagegen, nur einmal8; Richter seien Minos und Radamanthys, ich dagegen, Gott selbst9; die Seele allein werde Unsterblichkeit erlangen, ich dagegen, auch der mit ihr verbundene Leib. (7) Was tun wir euch zu Leide, ihr Bekenner des S. 235 Griechentums? Warum haßt ihr die, welche dem Worte Gottes folgen, als ob wir von gräßlicher Blutschuld befleckt wären? Bei uns gibt’s keine Menschenfresser10; die ihr also berichtet seid, ihr seid falsche Zeugen: bei euch wird Pelops den Göttern zum Mahle zubereitet, obgleich er der Liebling Poseidons war, und Kronos verschlingt seine Söhne, und Zeus verschluckt die Metis.


  1. Vgl. Kap. XIX 2. ↩

  2. Der berüchtigte Kyniker Peregrinus Proteus, über den Lukians bekannte Schrift handelt; s. TsgA S. 21 f., vgl. Bernays, Lukian und die Kyniker, S. 63, 107. ↩

  3. Vgl. Kap. III 8. ↩

  4. *Vgl. 1Tim. 6,5. Tatian spielt auf den oben § 1 erwähnten Peregrinus Proteus an; s. TsgA. 21 f., ander Puech, Recherches S. 140, Anm. 5. ↩

  5. Lies mit den Handschriften: πάλιν τε εἶναι. ↩

  6. Vgl. Kap. III 7. ↩

  7. Vgl. Kap. III 9. ↩

  8. Vgl. Kap. VI 1. ↩

  9. Vgl. Kap. VI 2. ↩

  10. Tatian weist wie Athenagoras 32 (vgl. Aristides XVII 2) den oftmals gegen Christen erhobenen Vorwurf thyesteischer Mahlzeiten zurück, s. zu Kap. XXXII 3, vgl. XXXIV 1. ↩

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