10. Christliche Vollkommenheit und Glückseligkeit.
Trägst auch du nach diesem Glauben Verlangen, so lerne zuerst den Vater kennen. Denn Gott hat die Menschen geliebt; ihretwegen schuf er die Welt, ihnen unterwarf er alles auf Erden, ihnen gab er Rede, ihnen Vernunft; ihnen allein gestattete er, aufwärts zu ihm zu blicken; sie gestaltete er nach seinem Ebenbilde, ihnen sandte er seinen eingeborenen Sohn, ihnen verhiess er das Himmelreich und wird es geben denen, die ihn lieben. Von welcher Freude aber glaubst du wohl erfüllt zu werden, wenn du ihn erkannt hast? Oder wie wirst du den lieben, der dich so zuvor geliebt hat? Liebst du ihn aber, so wirst du auch ein Nachahmer seiner Güte sein. Und wundere dich nicht, dass ein Mensch Nachahmer Gottes sein kann; er kann es, weil er Gott es will. Denn das Glück besteht nicht darin, dass man über seine Nebenmenschen herrscht oder mehr haben will als die Schwächern, auch nicht darin, dass man reich ist und die Niedrigem unterdrückt; in solchen Dingen kann niemand Gott nachahmen, sie liegen ausserhalb seiner Majestät, Wer dagegen die Last seines Nächsten auf sich nimmt, wer dem Schwächern helfen will in den Stücken, in denen er ihm überlegen ist, wer das, was er von Gott empfangen hat, den Bedürftigen spendet, der wird ein Gott für die Empfänger, er ist Gottes Nachahmer. Dann wirst du, auf Erden lebend, schauen, dass ein Gott im Himmel waltet; dann wirst du Gottes Geheimnisse zu reden anfangen; dann wirst du die, welche zum Tode geführt werden, weil sie Gott nicht verleugnen wollen, lieben und bewundern; dann wirst du die Täuschung und Irrung der Welt verachten, wenn du wahrhaft im Himmel zu leben verstehst, wenn du den scheinbaren Tod hienieden verachtest, wenn du den wirklichen Tod fürchtest, der denen vorbehalten ist, die zum ewigenS. 171 Feuer verurteilt werden sollen, das die ihm überlieferten bis ans Ende peinigen wird. Dann wirst du die, welche sich um der Gerechtigkeit willen dem zeitlichen Feuer unterziehen, bewundern und seligpreisen, wenn du jenes Feuer kennst.