1.
Lukas scheint mir nun durch die Bitte; „Führe uns nicht in Versuchung1“, dem Sinne nach auch diese: „erlöse uns von dem Bösen2!“, mitgelehrt zu haben. Und wahrscheinlich brauchte der Herr dem Schüler gegenüber3, der S. 135 schon nützliche Unterweisung erhalten hatte, die kürzere Fassung, für die Menge dagegen, die eindringlicher belehrt werden mußte, die deutlichere Form. Gott „erlöst uns aber von dem Bösen“ nicht dann, wenn uns der (böse) Feind mit seinen Schlichen mancherlei Art und den Helfershelfern seines Willens4 zum Kampfe überhaupt nicht entgegentritt, sondern wenn wir den Ereignissen tapfer die Stirn bieten und den Sieg gewinnen. So verstehen wir auch das Schriftwort: „Zahlreich sind die Drangsale der Gerechten, und aus allen diesen erlöst er sie5.“ Denn von „den Drangsalen erlöst“ Gott nicht dadurch, dass keine Drangsale mehr eintreten - sagt doch auch Paulus „in allem bedrängt6“ wie wenn wir zu keiner Zeit nicht „bedrängt“ wären -, sondern wenn wir, „bedrängt“, durch Gottes Beistand nicht „erdrückt“ werden. Und zwar wird der Ausdruck „bedrängt werden“ (θλίβεσθαι) nach einem gewissen hebräischen Sprachgebrauch bei einem mißlichen Umstand, der ohne unsern Willen eintritt, angewendet, der Ausdruck „erdrückt werden“ (στενοχωρεῖσθαι) aber bei dem mit freiem Willen versehenen Menschen, der durch die Drangsal, da7 er ihr (schwächlich) nachgegeben hat, besiegt worden ist. Daher hat Paulus vortrefflich gesagt: „in allem bedrängt, aber nicht erdrückt8“. Diesem Ausspruch ähnlich ist meiner Meinung nach auch das Psalmwort: „In der Drangsal hast du mir Raum geschaffen9.“ Denn die Fröhlichkeit und Heiterkeit unseres Sinnes, die uns zur Zeit der mißlichen Umstände von Gott infolge der Mitarbeit und Gegenwart des uns tröstenden und rettenden Gotteswortes geschenkt wird, hat (in der Schrift) den Namen „Raum schaffen“.