14. Vom Leiden des Herrn.
Rath zu halten gegen den Herrn begannen nämlich die Juden am zweiten Wochentage im ersten Monat, welcher Xanthilus heißt, und die Berathschlagung dauerte bis zum dritten Tag der Woche; am vierten aber beschlossen sie, ihn zu kreuzigen. Auch Judas wußte Dieß, der schon seit langer Zeit verkehrten Sinnes, damals aber auch vom Teufel selbst mit Geldsucht geschlagen war. Obgleich er längst den Geldbeutel zu Händen hatte und das Geld der Armen stahl, so wurde er doch vom Herrn in seiner Geduld nicht verstoßen, sondern da auch wir damals noch mit ihm aßen, wollte er sowohl ihn zur bessern Einsicht bringen, als auch uns sein Vorherwissen lehren, indem er sprach: „Wahrlich, wahrlich sage ich euch: Einer unter euch wird mich verrathen.“1 Und da Jeder von uns sprach: „Bin ich es?”2 und der Herr schwieg, stand ich, einer von den Zwölfen, mehr als die Andern von ihm geliebt und an seiner Brust ruhend, auf und bat ihn und fragte, wer es wäre, der ihn verrathen werde. Aber auch so nicht hat er uns dessen Namen gesagt, der gute Herr, sondern zwei Kennzeichen des Verräthers hat er gegeben: das eine, indem er sprach: „Der mit mir die Hand in die Schüssel tauchet,”3 und das andere: „Derjenige ist es, dem ich den eingetauchten Bissen S. 162 geben werde.”4 Und da auch der Verräther sprach: „Bin ich es. Meister?”5 sprach der Herr nicht „Ja”, sondern: „Du hast's gesagt.” Und ihm darob Furcht einzuflößen, sprach er: „Weh' jenem Menschen, durch welchen der Sohn des Menschen verrathen wird; gut wäre es ihm, wenn er nicht geboren worden.” Nachdem Judas Dieß gehört, ging er hinweg und sprach zu den Priestern: „Was wollt ihr mir geben, und ich will ihn euch überliefern?”6 Und sie bestimmten ihm dreissig Silberlinge, und erfüllt wurde die Schrift, welche sagt: „Sie nahmen die dreissig Silberlinge, den Werth des Geschätzten, welchen geschätzt haben (einige) von den Söhnen Israels, und gaben sie in's Haus des Töpfers.”7 Und am fünften Wochentage, als wir mit ihm das Pascha aßen und Jener die Hand in die Schüssel getaucht und den Bissen empfangen hatte und Nachts hinweggegangen war, sprach der Herr zu uns: „Gekommen ist die Stunde, daß ihr euch zerstreuen und mich allein lassen werdet.“8 Und als Alle betheuerten, ihn nicht zu verlassen, und als ich, Petrus, versprochen, mit ihm in den Tod zu gehen, sprach er: „Wahrlich ich sage dir, ehe der Hahn kräht, wirst du dreimal geläugnet haben, mich zu kennen.”9 Nachdem er uns aber die nachbildlichen (ἀντίτυπα) Geheimnisse seines kostbaren Leibes und Blutes übergeben hatte (Judas war nicht mit uns zugegen), ging er auf den Ölberg hinaus, nahe am Gießbach Cedron, wo sich ein Garten befand. Auch wir waren zugegen und sprachen nach unserer Gewohnheit einen Lobgesang.10 Und er entfernte sich von uns und betete anhaltend zum Vater und sprach: „Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir; aber nicht mein Wille, sondern der deinige soll geschehen.”11 Und als er Dieß dreimal gethan hatte und wir vor Traurigkeit in Schlaf gefallen waren, trat er herzu und S. 163 sprach: „Seht, die Stunde ist nahe gekommen, und der Sohn des Menschen wird in die Hände der Sünder überliefert werden.“12 Da kamen Judas und mit ihm ein Haufen Gottloser, und er gab ihnen das Zeichen des Verrathes, den heuchlerischen Kuß. Als sie aber das verabredete Zeichen erhalten, ergriffen sie den Herrn und führten ihn gefesselt in das Haus des Hohenpriesters Kaiphas, wo eine Menge, nicht Volk, sondern Pöbel zusammengebracht war, auch nicht die hl. Priesterschaft, sondern eine Versammlung von Lasterhaften und ein Rath von Gottlosen.
Sie verübten nun gegen ihn jede Art von Frevel; sie bespieen, schlugen, verspotteten, zerrten und beschimpften ihn; sie versuchten ihn, indem sie eine Weissagung von ihm verlangten, sie nannten ihn einen Heuchler und Gotteslästerer, Verächter Mosis, Zerstörer des Tempels, Abschaffer der Opfer, Feind der Römer, Gegner des Kaisers. Und nachdem sie bis zum Morgen gegen ihn viele grobe Lästerungen gesprochen, indem sie ihn wie Hunde und Stiere umlagerten,13 führten sie ihn zu Annas, welcher Schwager des Kaiphas war, wo sie in ähnlicher Weise ihn mißhandelten. Dann überlieferten sie ihn, da Parasceve war, der Obrigkeit der Römer, dem Pilatus, und brachten viele schwere Anklagen gegen ihn vor, welche sie nicht beweisen konnten. Darüber ward der Richter unwillig und sprach: „Ich finde keine Schuld an ihm.”14 Jene aber wollten durch zwei beigezogene falsche Zeugen den Herrn verleumden; da diese jedoch in ihren Aussagen nicht übereinstimmten, brachten sie ein Majestätsverbrechen vor, indem sie sprachen: „Dieser sagt, er sei ein König, und verbietet, dem Kaiser Zins zu geben.” Und sie wurden selbst Ankläger, Zeugen und Richter und Vollstrecker des Urteils : „Kreuzige ihn! kreuzige ihn!” Und so wurde erfüllt, was von ihm geschrieben in den Propheten: „Falsche Zeugen sind gegen mich aufgestanden, und die Bosheit hat wider sich S. 164 selbst gelogen.”15 Und wiederum: „Viele Hunde haben mich umringt, die Rotte der Boshaften hat mich umlagert.”16Und an einer andern Stelle: „Mein Erbe ist mir geworden wie ein Löwe im Walde, welcher wider mich brüllt.”17 Pilatus schändete seine Würde durch Feigheit und wurde zum Mitschuldigen am Verbrechen, indem er mehr dem Begehren der ruchlosen Menge als der Unschuld des Gerechten Rechnung trug. Er überantwortete den, dessen Unschuld er bezeugte, wie einen Schuldigen der Strafe der Kreuzigung, obgleich das Gesetz der Römer bestimmte, Niemand dürfe, ohne der Schuld überwiesen zu sein, getödtet werden. Als aber die Henker den Herrn der Glorie ausgeliefert erhalten hatten, schlugen sie ihn ans Kreuz: um die sechste Stunde kreuzigten sie ihn, nachdem um die dritte Stunde das Urtheil über ihn gefällt worden war. Nachher gaben sie ihm Essig mit Galle zum Trinken, als dann haben sie seine Kleider durch Würfelloos vertheilt; auch kreuzigten sie zwei Übelthäter mit ihm zu beiden Seiten, damit die Schrift erfüllt würde: „Und sie geben mir zur Speise Galle, und in meinem Durste tranken sie mich mit Essig;”18 und wiederum: „Sie haben meine Kleider unter sich vertheilt und das Loos geworfen über mein Gewand.”19Und an einer andern Stelle: „Unter die Übelthäter ist er gerechnet worden.”20 Dann entstand eine Finsternis, welche drei Stunden dauerte, von der sechsten bis neunten. Gegen Abend war die Finsterniß geschwunden, wie geschrieben steht: „Nicht Tag (ist es) und nicht Nacht, und gegen Abend wird Licht.”21 Als Dieß alles die mit ihm gekreuzigten Bösewichte sahen, lästerte ihn der eine, als wenn er aus Schwäche sich selbst nicht helfen könnte; der andere aber schalt den Genossen seines Verbrechens der Unwissenheit, und zum Herrn gewendet, weil erleuchtet von ihm und erkennend, wer der Leidende sei, bat er ihn, seiner S. 165 eingedenk zu sein in seinem künftigen Reiche, und sogleich ertheilte ihm der Herr Verzeihung seiner begangenen Frevelthaten und führte ihn ins Paradies, um Antheil zu nehmen an den geheinmißvollen Gütern. Um die neunte Stunde rief Jesus zum Vater und sprach: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“22 Und bald darauf rief er mit lauter Stimme: „Vater, verzeih’ ihnen, sie wissen nicht, was sie gethan haben.“23 Und er fügte hinzu: „In deine Hände empfehle ich meinen Geist.“ Und er hauchte aus. Vor Sonnenuntergang wurde er in ein neues Grab gelegt; als aber der erste Tag der Woche anbrach, erstand er von den Todten und erfüllte, was er vor seinem Leiden uns verkündet hatte, da er sprach, „daß der Sohn des Menschen im Herz der Erde drei Tage und drei Nächte bleiben müsse.“24 Und von den Todten auferstanden, erschien er zuerst25 der Maria Magdalena und Maria Jakobi, dann dem Kleophas auf dem Wege26 und nachher uns, seinen Schülern,27 die wir uns aus Furcht vor den Juden flüchteten und heimlich, aber sorgfältig ihm nachforschten. Dieses ist aber auch im Evangelium niedergeschrieben.
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Joh. 13, 21. ↩
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Mark. 14, 19. ↩
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Mark. 14, 20. ↩
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Joh. 13, 26. ↩
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Matth. 26, 25. ↩
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Matth. 26, 15. ↩
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Zach. 11, 13; Matth. 27, 9. ↩
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Joh. 16, 32; Matth. 26, 31. ↩
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Luk. 22, 34. ↩
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Matth. 38, 30. ↩
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Luk. 22, 42. ↩
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Matth. 26, 45. ↩
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Ps. 21. 13, !7. ↩
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Luk. 23, 14. ↩
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Ps. 26, 12. ↩
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Ps. 21. 17. ↩
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Jer. 12, 8. ↩
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Ps. 68, 22. ↩
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Ps. 21, 19. ↩
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Is. 53, 12. ↩
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Zach. 14, 7. ↩
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Matth. 27, 46. ↩
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Luk. 23, 34. ↩
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Matth. 12, 40. ↩
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Matth. 28, 9. ↩
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Luk. 24, 18. ↩
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Mark. 16, 14. ↩