14. Von der Behauptung derer, welche sagen, daß man den Büßer nicht aufnehmen solle, und daß Der Gerechte, wenn er auch mit Sündern umgeht, dennoch nicht mit ihnen zu Grunde gehe.
Wenn du den Büßer nicht aufnimmst, so gibst du ihn Nachstellern preis, vergessend der Worte Davids: „Ubergib nicht den Raubthieren die Seelen deiner Bekenner.„1 Deßwegen ermahnt Jeremlas zur Buße mit den Worten: „Soll denn der, welcher fällt, nicht wieder aufstehen? Soll der, welcher sich abgewendet, nicht wieder zurückkehren? Warum ist denn dies Volk zu Jerusalem abgewendet und verharret in der Bekehrung? Sie halten an der Lüge und wollen nicht zurückkehren.“2 „So kehret um und bekehret euch, ihr Kinder, und ich will heilen euren Ungehorsam. Siehe wir kommen zu dir, denn du bist der Herr, unser Gott.„3 Daher mußt du den Büßer aufnehmen. Laß hierüber keinen Zweifel aufkommen und laß dich vom Vorhaben, Dieß zu thun, nicht abwendig machen durch Jene, welche da ohne Erbarmen sagen, man solle sich mit solchen nicht beflecken, noch Gemeinschaft machen. Denn dies sind Rathschläge Derjenigen, welche Gott nicht kennen und auch nicht seine Vorsehung — unvernünftige Richter und unmenschliche Bestien. Denn sie erkennen nicht, daß man nicht dem Worte nach die Gemeinschaft mit den Sündern meiden müsse, sondern S. 45 im Werke. Denn „die Gerechtigkeit des Gerechten bleibt auf dem Gerechten, und die Missethat des Gottlosen bleibt auf dem Ungerechten.“4 Und wiederum: „Menschensohn! Wenn ein Land wider mich sündiget und Missethat über Missethat begeht, so strecke ich meine Hand darüber aus und zerbreche ihm die Stütze des Brodes und schicke ihm Hunger zu und tödte darin Menschen und Vieh, und wenn darin die drei Männer wären, Noe, Daniel und Job, so würden sie durch ihre Gerechtigkeit sich selbst retten, spricht der Herr der Heerschaaren.„5 Ganz deutlich hat die Schrift es geoffenbart, daß der Gerechte mit dem Ungerechten verkehrt und nicht mit ihm zu Grunde geht. Denn in dieser Welt leben Gerechte und Ungerechte miteinander in Gemeinschaft des Lebens, nicht auch der Heiligkeit, und deßwegen sündigen die Freunde Gottes nicht, denn sie ahmen den Vater im Himmel nach, „welcher seine Sonne aufgehen läßt über die Guten und Bösen und regnen über die Gerechten und Ungerechten.“6 Hieraus erwächst für den Gerechten keine Gefahr, denn in der Rennbahn sind Sieger und Besiegte, aber zur Veschenkung mit dem Preise werden nur die zugelassen, welche tapfer gekämpft: „Keiner aber wird gekrönt, wenn er nicht gesetzmäßig gekämpft hat.„7 Denn ein Jeder wird von sich Rechenschaft geben, und keineswegs wird Gott den Gerechten mit dem Ungerechten verderben, da an ihm Nichts zu tadeln und Nichts zu strafen. Denn weder den Noe hat er ersäuft, noch den Loth verbrannt, noch die Raab zugleich mit vernichtet, und wenn ihr wollet, könnet ihr das auch erkennen an dem, was an uns geschehen. Judas war mit uns — er erhielt dasselbe Amt wie wir, und Simon Magus hatte daß Siegel der Taufe aufgedrückt erhalten; aber jeder von diesen erwies sich als schlecht — der eine hat sich erhängt, der andere, gegen die Natur fliegend, verlor sein Leben durch schweren Fall. Und in der Arche waren Noe S. 46 und seine Söhne, aber nur Cham ward böse erfunden, am Sohne vollzog er die Strafe. Wenn aber die Väter für die Kinder nicht bestraft werden und die Kinder nicht für die Väter, so ist klar, daß weder Weiber für Männer, noch Dienstboten für Herrschaften, noch Verwandte für Verwandte, noch Freunde für Freunde, noch Gerechte für Ungerechte, sondern jeder für sich wegen seines Thuns zur Rede gestellt werden wird; denn weder Noe wurde wegen der Welt gestraft noch Loth wegen der Sodomiter verbrannt, noch Raab wegen der Hierichuntinen geschlachtet, noch Israel wegen der Ägyptier ins Meer versenkt. Denn nicht das Zusammenwohnen des Gerechten mit dem Ungerechten verurtheilt den Ersteren, sondern die Gleichheit der Gesinnung. Daher darf man nicht denen beistimmen, welche gleich zum Tödten bereit wären, den Misanthropen und den Denunzianten, die mit Beschönigung den Tod verhängen. Denn der Eine stirbt nicht für den Andern, sondern „ein Jeder wird mit den Seilen seiner Sünden gefesselt.“8 Und der Prophet Isaias spricht: „Siehe, sein Lohn ist bei ihm, und sein Werk ist vor ihm.„9 Wir aber müssen denen, mit welchen wir zusammenleben, sowohl den Schwachen und in Gefahr Befindlichen als auch den Gefallenen zu Hülfe eilen und so viel möglich durch ermahnende Worte sie heilen und dem Verderben entreissen. Denn nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken, da es überdieß „nicht der Wille des Vaters ist, daß eines von den Kleinen zu Grunde gehe.“10 Denn man muß nicht zum Willen hartherziger Menschen stehen, sondern zum Willen Gottes des Vaters aller Dinge und dem Willen Jesu Christi unsers Herrn, welchem die Ehre in Ewigkeit. Amen.
Es ist auch nicht billig, daß du, o Bischof, als Haupt dich an den Schweif hältst, d. h. an einen sich auflehnenden Laien zum Verderben eines Andern, sondern Gott allein hange an; denn du mußt über die Untergebenen herrschen, S. 47 nicht von ihnen beherrscht werden. Denn nicht befiehlt der Sohn dem Vater, da er von diesem abstammt, nicht der Knecht dem Herrn, weil dieser über ihn Herrschaft hat, nicht der Schüler dem Lehrer und nicht der Soldat dem Fürsten und nicht der Laie dem Bischof. Daher soll man nicht der Meinung sein, daß Diejenigen, welche mit Ungerechten verkehren, durch die Unterweisung des Wortes verunreinigt werden oder Gemeinschaft mit ihren Sünden machen. Ezechiel zerstört den Verdacht solch heimtückischer Menschen, indem er sagt: „Warum führet ihr gleichnißweise das Sprüchwort unter euch im Lande Israel und sprechet: Die Väter haben sauere Trauben gegessen, und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden? So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr, diese Gleichnißrede sollt ihr fürder nicht mehr als Sprüchwort gebrauchen in Israel. Siehe, alle Seelen sind mein: wie die Seele des Vaters, so ist auch mein die Seele des Sohnes; welche Seele sündigt, dieselbe soll sterben. Wenn ein Mann gerecht ist, Recht und Gerechtigkeit übt u. s. w.„11 „Wer nach meinen Geboten wandelt und meine Rechte in Acht hat, um nach der Wahrheit zu thun, der ist gerecht, er soll leben, spricht Gott der Herr!“ „Ihr sprechet: Warum trägt denn der Sohn nicht die Missethat des Vaters? Darum, weil der Sohn Recht und Gerechtigkeit geübt, alle meine Gebote bewahrt und gethan hat, soll er leben, ja leben! Die Seele, welche sündigt, die soll sterben; der Sohn soll nicht tragen die Missethat des Vaters, und der Vater nicht tragen die Missethat des Sohnes: die Gerechtigkeit des Gerechten bleibt auf dem Gerechten, und die Missethat des Gottlosen bleibt auf dem Ungerechten.„12 „Wenn sich aber der Gerechte von seiner Gerechtigkeit abwendet und Böses thut nach allen Gräueln, die der Gottlose zu thun pflegt, wird er leben? All seiner Gerechtigkeit, die er geübt, wird nicht mehr gedacht werden; in seiner Missethat, womit er sich verfehlt, und in seiner Sünde, womit er gesündigt, darin wird er S. 48 sterben; und wenn der Gottlose sich abwendet von seiner Bosheit, die er begangen hat, und Recht und Gerechtigkeit übt, der wird seiner Seele das Leben geben.“13