I. Agathe
Agathe.
Nachdem Thallusa so geendet, habe (erzählte Theopatra) Arete mit ihrem Szepter die Agathe berührt; die merkt es, springt sofort auf und erwidert: Wenn du mich geleitest, liebe Arete, dann will ich wohl voll froher Zuversicht, überzeugen und der herrlichen Reden Fortsetzung übernehmen zu können, auch meinerseits nach Kräften etwas zum Thema beisteuern; aber so, wie es meinem Gedankenkreise entspricht, nicht so wie das bisher Gesprochene. Denn das könnte ich freilich nicht: In einen philosophischen Wettkampf mit euren reichen und herrlichen Leistungen eintreten. Sicherlich würde es mir ja als Mangel an Bildung ausgelegt, wollte ich mit einem Sprung mich den in der Philosophie Fortgeschritteneren an die Seite stellen. Wenn ihr also Geduld habt auch für das, was auf gut Glück herausgesagt wird, dann will ich mich ans Reden machen — an gutem Willen fehlt es mir keineswegs. Der Anfang sei gemacht mit folgendem: Wenn wir in diese Welt kommen, liebe Mädchen, dann besitzen wir alle eine unbeschreibliche Schönheit, die verwandt ist mit der Weisheit und ihr nahe steht. Denn am meisten gleichen die Seelen ihrem Vater und Schöpfer dann, wenn sie das Ebenbild und die Linien jener Idee fleckenlos ausstrahlen, nach der Gott ihre Form unsterblich S. 332 und unvergänglich gestaltete — und wenn sie diese Art dauernd bewahren. Denn die ungezeugte, körperlose Schönheit, die nicht Anfang kennt noch Untergang, die wandellose, ewig junge, vollkommene — Er, der in sich selbst und im eigenen Lichte voll Unaussprechlichkeit und Unzugänglichkeit ruht und mit dem Überschwang seiner Macht alles umfaßt und begründet und ändert: Er hat nach seinem eigenen Ebenbilde die Seele geschaffen. Darum ist sie vernünftig und unsterblich; denn weil sie nach dem Bilde des Eingebornen gestaltet ist, besitzt sie, wie gesagt, eine unübertreffliche Schönheit. Aber eben darum entbrennen auch die Geister der Schlechtigkeit in Liebeslust zu ihr und lauern ihr auf; sie wollen die Seelen nötigen, ihr göttliches, liebenswertes Bild zu besudeln, wie denn auch der Prophet Jeremias nahelegt, der Jerusalem schilt: „Das Gesicht einer Hure hast du bekommen; alle Scham hast du abgelegt vor deinen Liebhabern“1. Er meint das Jerusalem, das sich den feindlichen Mächten zur Entehrung hingab. Ja, die Liebhaber sind der Teufel und die Engel seines Anhangs; die versuchen alle ihre Künste, die vernünftige und helle Schönheit unseres Herzens zu beflecken und zu besudeln in der Vermischung mit ihnen selbst, die gieren darnach, Ehebruch zu tun an jeder dem Herrn verlobten Seele. —
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Jer. 8,3. ↩
