Arete.
Arete.
Theopatra berichtet, nun habe Arete geantwortet: Gewiß nehme ich sie an und lobe dich vom Anfang bis zum Ende; aufs trefflichste, zwar nicht so deutlich, aber mit Eifer hast du ja die Gegenstände deiner Rede erfaßt und durchgesprochen, nicht auf schöne Worte, die die Hörer nur amüsieren wollen, hast du es angelegt, sondern auf Mahnung zum Fortschritt und zur Wachsamkeit. Denn wer da sagt, man müsse der Reinheit die erste Stelle unter meinen andern Lebenswegen und die größte Begeisterung weihen, der trifft mit seiner Willensmeinung das Rechte; freilich glauben viele, sie seien ihre Verehrer und Diener, aber wahre Verehrer hat sie sozusagen nur wenige. Denn wo ein Mensch es für gut erachtet, sein Fleisch vom Genusse des Beischlafes rein zu bewahren, und übt in den andern Dingen nicht Selbstbeherrschung — so einer ist kein Verehrer der Keuschheit. In der Tat schändet er sie sogar mit seinen gemeinen Lüsten, und das nicht in geringem Maße, er vertauscht nur eine Lust mit der andern. Auch wo einer sich müht, der äußern Begierden Herr zu sein, sich aber in Hochmut überhebt eben deswegen, weil er des Fleisches Zunder im Zaum zu halten vermag und nun die andern für nichts achtet, — auch so einer ist kein Verehrer der Keuschheit; er schändet sie ja durch seinen übermütigen Hochmut, weil er die Außenseite des Gefäßes und der Schüssel zwar reinigt, also seinen Leib, sein Fleisch, sein Herz aber mit Aufgeblähtheit und Herrschsucht verlumpt. Auch wenn einer sich brüstet mit Geld, gibt er sich keine Mühe ihr Verehrer zu sein; es schändet sie auch so einer in der Tat mehr als jeder andere, denn er zieht ihr kärglichen Gewinn vor, ihr, die nichts Gleichwertiges hat unter den Kostbarkeiten dieses Lebens; denn aller Reichtum und alles Gold ist vor ihr wie eine Handvoll Sand“1. Auch wer sich selbst über die Maßen lieben will und mit Eifer Dinge betreibt, die S. 387 nur ihm zuträglich sind, ohne für den Nächsten auch nur einen Gedanken übrig zu haben, auch ein solcher ist kein Verehrer der Keuschheit; auch er schändet sie in der Tat; denn es mangelt ihm viel von dem, was ihre ernsthaften Freunde auszeichnet, weil er ihre Liebe, ihre mitfühlende und humane Seite beschimpft. Es darf ja nicht so sein, daß man einerseits rein lebt und jungfräulich, andererseits sich mit Übeltaten besudelt und mit Zuchtlosigkeit; man darf sich nicht dem Gelübde der Reinheit und weisen Zucht anschließen und trotzdem sich beflecken mit Sünden, und wiederum, man darf nicht nach außen tun, als kümmere man sich nicht um die weltlichen Sachen, während man doch solche besitzt und damit beschäftigt ist, — nein, alle Glieder muß man vom Verderben unberührt und unbefleckt bewahren, nicht nur die juckenden, dem Beischlaf dienenden, nein, schon diejenigen, die darauf Einfluß haben. Ein Hohn ist es, die Zeugungsorgane jungfräulich zu bewahren, die Zunge aber nicht, oder wohl die Zunge jungfräulich zu bewahren, das Gesicht und das Gehör und die Hände aber nicht, oder wohl diese jungfräulich zu bewahren, aber nicht das Herz und es mit den Hetären Zorn und Wut verkehren zu lassen. Ganz und gar muß der alle seine Glieder und alle seine Sinne rein und verschlossen halten, der Keuschheit üben und nicht dagegen sündigen will; so schließen ja auch die Fährleute die Planken der Kähne; die Woge der Sünde darf keinen Zugang finden. Das ist nun einmal so: hohem Lebensstande gehen auch große Verfehlungen zur Seite, und das Böse ist dem wahrhaft Guten feindlicher als dem Nichtguten. So haben viele gewähnt, Keuschheit, das sei die Beherrschung der liebeslüsternen Begierden und haben deshalb dem übrigen keine Beachtung geschenkt: da sind sie an der Keuschheit zu Verbrechern geworden und haben denen, die in rechter Weise ihr genaht waren, Schimpf eingebracht, wie ihr das klar gemacht habt, ihr, in allem ein Ideal, weil ihr selbst Jungfrauen seid in Taten und in Worten. Nun habe ich beschrieben, was einer Jungfrau ansteht und wie sie sein muß. Euch aber, die ihr so vollkommen den Redewettkampf bestanden habt, — nach dem, was ich selbst gehört, erkenne ich euch allen S. 388 Sieg und Kranz zu; der Thekla aber reiche ich den größten und dichtesten Kranz, denn sie glänzt unter euch als die Erste und Herrlichste.
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Vgl. Weish. 7,9. ↩