30.
Wer also an die göttliche Schrift sich wendet, der soll die Stellen im Alten Testament verstehen lernen, aus den Evangelien aber soll er abnehmen, daß der Herr Mensch geworden ist. „Denn das Wort“, heißt es, „ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“. Es ist aber Mensch geworden und nicht zu den Menschen gekommen. Denn das muß man wissen, damit nicht die Gottlosen auch darauf verfallen und einige hintergehen, und diese dann zum Glauben kommen, daß das Wort wie in früheren Zeiten zu einzelnen Heiligen, so auch jetzt zu einem Menschen kam, ihn heiligte und sich in ihm wie in den andern offenbarte. Denn, wenn dem so wäre, und es bloß im Menschen erschienen wäre, S. 284 so wäre das nichts Auffallendes, noch auch hätten die, welche es sahen, voll Staunen gefragt: „Woher stammt dieser?“1, und: „Warum machst Du Dich, der Du ein Mensch bist, zu Gott?“2 Denn sie waren ja gewohnt, zu hören: Und es erging das Wort an die einzelnen Propheten. Jetzt aber, da Gottes Wort, durch das alles entstanden ist, sich herabließ, auch Menschensohn zu werden, und sich erniedrigte und Knechtsgestalt annahm, deshalb ist den Juden das Kreuz Christi ein Ärgernis, uns aber ist Christus Gottes Kraft und Gottes Weisheit3. „Denn das Wort ist“, wie Johannes gesagt hat, „Fleisch geworden“. Es pflegt nämlich die Schrift den Menschen Fleisch zu nennen, wie es beim Propheten Joel heißt: „Ich werde von meinem Geist auf alles Fleisch ausgießen“4 , und wie Daniel zu Astyages gesagt hat: „Ich verehre nicht Gebilde von Menschenhänden, sondern den lebendigen Gott, der den Himmel und die Erde geschaffen hat und die Herrschaft über alles Fleisch besitzt“5. Denn unter Fleisch versteht auch Er wie Joel das Menschengeschlecht.