27.
Deshalb sollen wir ohne Scheu, unablässig und vertrauensvoll ihn um seine Gnadenhilfe anflehen. Dazu hat er uns durch alle diese Worte aufgefordert. Denn um der Sünde willen ist er gekommen1, auf daß sie sich zu ihm bekehren und er sie heile, wenn sie an ihn glauben. Nur sollen wir, so gut wir können, von den vorgefaßten schlimmen Meinungen ablassen, die schlechten Werke und die betrügerischen Lüste der Welt hassen, den bösen, törichten Gedanken entsagen und uns aus allen Kräften stets an ihn anschließen. Dann ist auch er bereit, uns seine Hilfe zu leihen. Deshalb ist er ja der Erbarmer, der Lebensspender, der Heiland der unheilbaren Leidenschaften; er schafft Erlösung denen, die zu ihm rufen und an ihn sich wenden, sich in freiem Willensentschlusse von aller Weltliebe möglichst lossagen, den Sinn von der Erde ablenken und mit sehnsüchtigem Verlangen ihm anhängen. Die Seele, die alles für überflüssig hält, an keinem Weltding einen Genuß findet, sondern auf den Genuß und die Freude seiner Liebeswonne S. 40 wartet, wird seiner Hilfe gewürdigt. Hat sie durch solchen Glauben das „himmlische Geschenk“2 erlangt, ihre Sehnsucht durch die Gnade reichlich gestillt, dient sie einträchtig und willig dem Heiligen Geiste, macht sie jeden Tag Fortschritte im Guten, verharrt sie auf dem „Wege der Gerechtigkeit“3, bleibt sie bis ans Ende unbeugsam, geht sie mit der Partei der Bosheit keine Verbindung ein und „betrübt sie die Gnade“4 in keinem Stücke, dann wird sie des ewigen Heiles mit allen Heiligen gewürdigt. Als ihre Nachahmerin war sie ja schon während ihres Lebens in der Welt ihre Genossin und Gefährtin. Amen.5. Homilie.
Vgl. 1 Tim. 1, 15. ↩
Hebr. 6, 4. ↩
Sprichw. 8, 20; 12, 28; 16, 31; Matth. 21, 32; 2 Petr. 2, 21. ↩
Der Ausdruck: „Die Gnade betrüben“ (λυπεῖν τὴν χάριν) [lypein tēn charin) taucht in der altchristlichen Literatur bereits in dem im 2. oder 3. Jahrh. verfaßten Briefe an Diognet XI 7 auf. Siehe E. Preuschen, Griechisch-Deutsches Handwörterbuch zu den Schriften des Neuen Testamentes und der übrigen urchristlichen Literatur, Gießen 1910, Kol. 672 unter λυπέω [lypeō]. ↩
