VI. Kapitel
Nachdem ich nun von den Siegeskränzen und den Kämpfern gesprochen, muß ich noch daran erinnern, daß jene tausend und abertausend Mühen auf sich nehmen, daß sie auf alle mögliche Weise sich stählen, bei ihren gymnastischen Übungen viel schwitzen, in den Übungsschulen häufig Streiche bekommen, keine leckere Kost bekommen, sondern eine solche, die ihnen von ihren Lehrern ausgesucht wird, kurz, daß sie überhaupt so leben, daß ihr dem Kampfe vorangehendes Leben eine S. 460 stete Vorbereitung auf den Kampf ist1 . Dann erst entkleiden sie sich zum Auftreten auf dem Kampfplatze, nehmen alle Gefahren und Mühen auf sich, um einen Kranz von Ölzweigen oder von Epheu oder dergleichen2 zu erlangen und vom Herold als Sieger ausgerufen zu werden. Und wir, denen unsagbar viele und schöne Kronen winken, schlafen auf beiden Ohren, leben in voller Sorglosigkeit dahin und wollen kaum mit einer Hand darnach greifen? Wahrlich, dann würde der Leichtsinn im Leben sich reichlich lohnen, und jener Sardanapal3 wäre als der Allerglücklichste zu preisen oder auch, wenn du willst, jener Margites4 , von dem Homer sagt, er habe weder geackert noch gegraben noch sonst etwas Brauchbares getan, vorausgesetzt, daß die betreffende Schrift von Homer stammt. Indes, sollte nicht der Ausspruch des Pittakus wahrer sein, der es als schwer bezeichnete, ein guter Mensch zu sein5 ? Denn, haben wir uns auch wirklich viel Mühe gegeben, es will uns kaum gelingen, jener Güter teilhaft zu werden, mit denen, wie gesagt, kein irdisches Gut vergleichbar ist. Deshalb dürfen wir nicht leichtsinnig sein und nicht große Hoffnungen für eine kurze Ruhe eintauschen wollen, wenn wir nicht Schimpf und Schande ernten und Strafe gewärtigen wollen, nicht etwa hienieden vor menschlichem Forum — ist übrigens doch auch dies für einen Vernünftigen keine Kleinigkeit —, sondern vor dem Gerichte, mag nun dies unter der Erde oder sonstwo S. 461 sein. Mag dem, der unfreiwillig gegen seine Pflicht verstößt, von Gott vielleicht auch Verzeihung werden, wer vorsätzlich für das Schlimme sich entscheidet, den wird unerbittlich eine vielfache Bestrafung treffen.
Was sollen wir nun tun? mag man fragen. Was anders, als für die Seele sorgen und uns aller anderen Sorgen entschlagen?
Epiktet zählt in seinem „Enchiridion“ c. 29 die Verhaltungsmaßregeln der Ring- und Faustkämpfer auf. Vgl. auch 1Kor. 9,25. ↩
In Olympia waren die Kränze aus Ölbaumzweigen geflochten, in Delphi verwendete man Lorbeer, auf dem Isthmus und zu Nemea Epheu oder auch Fichtenzweige. ↩
Ein Typus von Weichlichkeit [Dio Chrysostomus or. III]. ↩
Ein einfältiger Mensch, Held eines komischen Epos, das Homer zugeschrieben wurde [Pseudo-Plato, AIcib. II, 147]. ↩
Pittakus gehörte zu den „sieben Weisen“, die allgemeine praktische Lebensgrundsätze in Form von Sentenzen aussprachen. Dies Wort des P. ist zitiert von Platon in Protagoras 340 C, u. auch aufgenommen in die Sprichwörtersammlung des Sophisten Zenobios [Parömiographi graeci, ed. von Leutsoh und Sohneidewin [Gott. 1889] p. 172]. ↩
