1.
Was längst zu erwarten stand laut der Vorhersage des Herrn, jetzt aber endlich durch die Erfahrung der Tatsachen bestätigt worden, daß nämlich mit dem Überhandnehmen der Ungerechtigkeit die Liebe bei vielen erkalten werde1, diese bei uns bereits vollzogene Tatsache schienen die von Deiner Ehrwürden uns zu gegangenen Briefe zu widerlegen. In der Tat war es kein bloß äußerlicher Beweis der Liebe, daß Du fürs erste Dich unser, so geringer und wertloser Leute, erinnerst, und zweitens, daß Du auch Priester schicktest zum Besuche, geeignete Vermittler friedfertiger Briefe. Denn keine seltenere Erscheinung als diese, stehen doch alle einander mißtrauisch gegenüber. Nirgends Erbarmung, nirgends Mitleid, keine brüderliche Träne über einen leidenden Bruder. Nicht Verfolgungen um der Wahrheit willen, nicht das Seufzen ganzer Kirchengemeinden, nicht das lange Register der uns bedräuenden Trübsale vermögen uns zu gegenseitiger Fürsorge für einander zu bestimmen. Vielmehr stürzen wir uns auf die, welche fallen; wir reißen die Wunden auf. Wir, die wir gesinnungseins scheinen, vergrößern die von den Ketzern kommenden Unbilden. Und die in den S. 307 Hauptpunkten miteinander übereinstimmen, weichen jedenfalls wenigstens in irgendeinem Punkte voneinander ab. Wie sollen wir also nicht den bewundern, der bei solchen Verhältnissen eine reine und aufrichtige Liebe zum Nächsten beweist, und trotz einer so großen räumlichen Entfernung über Land und Meer unsern Seelen die weitgehendste Sorgfalt widmet?
-
vgl. Mt 24,12 ↩