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Nicht mehr sprechen die Eichen, nicht mehr prophezeit der Krug (λέβης) [lebēs]. Nicht mehr ist Pythia voll von allen möglichen Mythen und Schwätzereien. Kastalia ist wieder zum Schweigen gebracht und schweigt; nicht mehr raunt ihr Wasser, man lacht darüber. Wiederum ist Apollo die stumme Statue1. Wieder wird der Daphnebaum im Mythus beklagt2. Wieder ist Dionysus das Zwitterwesen, das sich mit einem Chore von Trunkenen umgibt, und ist dein großes Geheimnis der Gott Phallus, der sich dem schönen Proshymnus zuneigt. Wieder wird Semele vom Blitze getroffen3. Hephaestus hinkt wieder auf beiden Füßen und ist gleichwohl wieder bei Ehebruch schnell zur Stelle4 und ist wieder trotz seiner Kunstfertigkeit der rußige Gott und der olympische Thersites. Wiederum ist Ares wegen Ehebruchs mit Deimos (Schrecken) und Phobos (Furcht) und den Kydoimen (Schlachtengetümmel) gefesselt5 und wegen seiner Frechheit verwundet6. Wiederum ist Aphrodite die schändlich geborene Buhlerin, die Beschützerin schmählicher Verbindungen. Wiederum ist Athene die S. 183 Jungfrau, welche einen Drachen geboren hat7. Wieder rast Herakles, bzw. rast nicht mehr. Wieder geht Zeus, der Berater der Götter und ihr oberster Herr, der allein alle Götter samt allem zu sich emporzieht, obwohl er von keinem herabgezogen werden kann, alle möglichen Verwandlungen aus Geilheit und Schlechtigkeit ein. Wieder wird das Grab des Zeus auf Kreta gezeigt8. Sooft ich deinen Kerdoos und Logios und Enagonios sehe, verhülle ich meine Augen und eile aus Schamgefühl an deinem Gott vorbei. Verehre meinetwegen das feurige Wort und den Sack9! Achtung magst du haben allein vor den Ehrungen, welche bei den Ägyptern durch Eunuchen dem Nil zuteil werden, vor den Isisgestalten, den göttlichen Böcken10 und den Stieren11 und all den übrigen, sonderbar zusammengesetzten Tieren, welche du dir einbildest oder über welche du schreibst. Ich lache über deinen Plan, Priapos, Hermaphroditos und die Götter, welche aus Wahnsinn verstümmelt oder zerstückelt worden sind. Doch ich will diese Gestalten der Bühne und den ausschmückenden Dichtern überlassen. Mit einer Mahnung will ich meine Rede schließen.
Der Sinn dieser Ausführungen ist: die eingebildeten Kräfte der hellenistischen Religionen schweigen, nur der Schmutz und die Torheit der Göttergeschichten bleiben ― trotz aller Idealisierungsversuche Julians. ↩
Die Nymphe Daphne wurde von Apollo verfolgt und in einen Lorbeer verwandelt. Vgl. Ovid, Metam. 1, 452 ff. ↩
Semele wurde vom Blitze des Zeus getötet, als sie seine göttliche Herrlichkeit schauen wollte. Ovid, Metam. 3, 293. ↩
Odyssee 8, 296 ff. ↩
Vgl. Ilias 5, 285 ff. ↩
Il. 5, 859 ff. ↩
Vgl. Preller, Griechische Mythologie I³, 163 ff. ↩
Vgl. Lactantius, Divin. institut. I, 11, 45. ↩
Vgl. Rede 4, 121, wo bereits auf Kerdoos, d. i. Hermes, den Beschützer der Diebe, und seinen Sack hingewiesen war. ↩
οἱ Μενδήσιοι θεοί [hoi Mendēsioi theoi]. ↩
οἱ ῎Απιδες [hoi Apides]. ↩
