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Werke Gregor von Nyssa (335-394) De oratione dominica orationes v. Das Gebet des Herrn (BKV)
Dritte Rede: "Geheiligt werde dein Name! Zu uns komme dein Reich."

II

„Geheiligt werde dein Name,“ heißt es, „zu uns komme dein Reich!“ „Welchen Wert haben wohl diese Worte in meiner Not?“ ― könnte vielleicht jemand sagen, der entweder für die begangenen Sünden in bitterer Reue Buße tut oder zur Errettung aus der Versuchung, die ihn mächtig bedrängt, Gott zu Hilfe rufen möchte. Vor seinem Blicke steht drohend immerdar derjenige, der ihm durch Anreizung zur Sünde unaufhörlich zusetzt: hier suchen Zornesausbrüche den Verstand außer Fassung zu bringen; dort wollen törichte Begierden die Spannkraft der Seele entnerven; wieder von einer anderen Seite zieht die Habsucht den Schleier der Blindheit S. 116 über das sonst so klare Auge des Geistes; oder auch Hochmut, Stolz, Haß und die ganze übrige Reihe der wider uns kämpfenden Feinde umlagern wie ein wütender Haufe, der uns umkreist, unsere Seele und stürzen sie in die äußerste Gefahr. Wer nun nach einem mächtigeren Helfer gegen solche Feinde sich sehnt, um ihnen zu entrinnen: welche Worte könnte dieser mit größerem Rechte gebrauchen, als die des großen David, der da also flehte: „Möge ich gerettet werden aus der Hand derer, die mich hassen!“ (Ps. 68, 15 [hebr. Ps. 69, 15]) oder „Rückwärts mögen sich wenden meine Feinde!“ (Ps. 55, 10 [hebr. Ps. 56, 10]) und „Verleihe uns, o Gott, deine Hilfe in unserer Bedrängnis!“ (Ps. 59, 13 [hebr. Ps. 60, 13]) oder wie immer die Anrufungen lauten, durch die wir uns den Beistand Gottes gegen unsere Widersacher herabrufen könnten. Was sagt nun dagegen das Gebet, das der Herr uns aufgetragen? „Geheiligt werde dein Name!“ Wie? Wäre es denkbar, daß, wenn wir nicht darum bitten, der Name Gottes nicht heilig wäre? Und brauchen wir zu beten: „Zu uns komme dein Reich“? Was wäre denn dem Reiche oder der Macht Gottes nicht unterworfen? ― Gottes, der mit seiner Spanne den ganzen Himmel umfaßt, wie Isaias sagt (40, 12) ― Gottes, der dem Festland mit Allgewalt gebietet und das Meer völlig beherrscht, ― Gottes, der die ganze Schöpfung, sowohl die irdische wie die überirdische, auf seinen Händen trägt? Wenn also der Name Gottes immer schon heilig ist, und nichts der Herrschaft Gottes sich entziehen kann, vielmehr Gott ohnehin alles und jedes beherrscht und an Heiligkeit, weil durchaus fehlerlos und ganz vollkommen, nicht mehr zunehmen kann, was bedarf es noch der Bitte: „Geheiligt werde dein Name, zu uns komme dein Reich“?

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Das Gebet des Herrn (BKV)
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