II
S. 223 Wie herrlich ist also der Kampfpreis! Welches ist aber der Kampf, der ihn uns verschafft? Die Antwort des Herrn lautet: „Wenn du friedfertig bist, so sollst du mit der Gnadenkrone der Kindschaft Gottes gekrönt werden.“ Ich halte dafür, daß selbst die Leistung, für welche dir ein so großer Lohn verheißen wird, ein zweites Geschenk ist. Denn was ist für den Genuß aller Güter, welche die Erde kennt, notwendiger und süßer als ein Leben im Frieden? Denn alles, was wir hienieden als angenehm zu bezeichnen pflegen, bedarf des Friedens, um wirklich angenehm zu sein. Wenn nämlich alles zur Verfügung stünde, was nur immer im Leben geschätzt wird: Reichtum, Gesundheit, Gattin, Kinder, Wohnung, Eltern, Diener, Freunde, Erzeugnisse von Land und Meer, Parkanlagen, Jagden, Bäder, Turnschulen, Übungsplätze, Gelegenheit zum Schlemmen und Schwelgen und überhaupt alle Mittel, die man zur Befriedigung der Vergnügungssucht erfand, wie, wenn du sie nennen willst, Theater und Konzerte und die anderen Freuden, welche die Genußsüchtigen noch sonst am Leben haben, ― wenn all das vorhanden wäre, das Gut des Friedens aber fehlen würde, welchen Nutzen hätten wir von all den aufgezählten Annehmlichkeiten und Freuden, falls der Krieg ihren Genuß beeinträchtigen würde? Demnach ist der Friede an sich schon angenehm für uns, wenn wir ihn besitzen, und zudem versüßt er alles, was im Leben geschätzt wird.
Sogar wenn, wie es das Menschenleben mit sich bringt, ein Unglück uns trifft, jedoch zur Zeit des Friedens, so ist doch mit dem Unglück noch ein Glück verbunden, so daß das Mißgeschick von den davon Heimgesuchten leichter ertragen wird. Wenn aber Krieg das Leben bedrängt, so sind wir für andere noch so schmerzliche Ereignisse gewissermaßen unempfindlich; denn das gemeinsame Unglück wird schmerzlicher empfunden als das Unglück des einzelnen. Und wie nach der Meinung der Ärzte von zwei Krankheiten nur die schwerere empfunden wird, das Schmerzliche des geringeren Übels aber sozusagen verborgen bleibt und die Heftigkeit des stärkeren Leidens über das kleinere hinwegtäuscht, so S. 224 pflegen auch die Leiden des Krieges, weil sie an Schmerzlichkeit das Mißgeschick der einzelnen übertreffen, in der Regel zu bewirken, daß man gegen letzteres sich unempfindlich verhält. Wenn die Seele das Gefühl für die eigenen Leiden verloren hat, wie könnte sie, wenn sie durch die gemeinsamen Leiden des Krieges in Schrecken gerät, noch eine Empfindung für Annehmlichkeiten haben? Waffen, Pferde, geschliffener Stahl, Trompetenstöße, von Lanzen starrende Schlachtreihen, Schild an Schild, furchtbar mit den Büschen nickende Helme, Zusammenstöße, Gedränge, Handgemenge, Schlachten, Metzeleien, Flucht, Verfolgung, Wehklagen, Kriegsgeschrei, blutgetränkter Boden, zertretene Leichen, verlassene Verwundete und was sonst an Schrecknissen des Krieges zu sehen und zu schildern ist ― wer würde, falls er von solchen Übeln umgeben ist, sich bemüßigt fühlen, seine Sinne auf Freude und Lust zu lenken? Und gesetzt, es würde in der Seele der Gedanke an irgend etwas recht Erfreuliches auftauchen, würde es nicht unser Unglück vermehren, wenn die Erinnerung an so Liebes und Teueres gerade im Augenblick der Gefahr in unserem Geiste erwacht?