VI
Wann sind wir nun friedfertig? Dann, wenn wir die Liebe Gottes zu den Menschen nachahmen, dann, wenn wir jenes Wirken, das Gott auszeichnet, zum Vorbild für unser eigenes Wirken wählen. Der Spender und Herr des Guten geht nun darauf aus, alles ganz und gar zu vernichten, was dem Guten widerstrebt oder fremd ist. Ein solches Vorgehen verlangt er daher auch von dir, daß du also ausrottest den Haß, beilegest den Krieg, vertreibest den Neid, entfernest den Zwist, beseitigest die Heuchelei, auslöschest die Rachsucht, auch wenn sie nur tief im Herzen glimmt, daß du hingegen in die Seele all die Tugenden einführest, die aufblühen, sobald ihr Gegenteil weggeschafft wird. Denn wie das Licht kommt, wenn die Finsternis weicht, so wird an Stelle der vorhin erwähnten Übel die Frucht des Geistes einziehen: Liebe, Freude, Friede, Rechtschaffenheit, Geduld, kurz, die ganze Reihe von Geistesgaben, die der Apostel aufzählt (Gal. 5, 22 f.). Wie sollte nicht seligzupreisen sein der Vermittler solch göttlicher Gaben, der Nachahmer des Gnadenspendens Gottes, der da durch Wohltun der unermeßlichen göttlichen Freigebigkeit gleichkommen möchte.
Vielleicht wird aber die Seligpreisung nicht bloß auf jene zu beziehen sein, welche den Mitmenschen Gutes erweisen, sondern den Namen eines Friedfertigen S. 231 verdienen ganz besonders auch diejenigen, welche den im eigenen Innern tobenden Streit zwischen Fleisch und Geist und den mit unserer Natur gegebenen Zwiespalt zu friedlicher Ausgleichung führen, bei welcher das Gesetz des Fleisches, das dem Gesetze des Geistes widerspricht, nicht mehr in Kraft bleibt, sondern in Unterwerfung unter den besseren und höheren Herrn zum Vollzieher der göttlichen Gebote wird. Vielmehr richtig gesprochen: wir dürfen nicht meinen, das Wort Gottes vertrete die Ansicht, das Leben der Gerechten wachse aus zwei Wurzeln (Fleisch und Geist) hervor, sondern dadurch, daß die Scheidewand des Bösen in der Wohnung unseres Herzens niedergerissen wird, sollen sie, zu höherer Harmonie emporgehoben, zusammenwachsen und eins werden. Wenn nämlich Gott nach unserem Glauben einfach, ohne Zusammensetzung und gestaltlos ist, so soll auch der Mensch, falls er durch die anbefohlene Friedfertigkeit sich von der Zusammensetzung aus zwei Teilen (Prinzipien) erlösen und vollständig zum Guten zurückführen läßt, ebenfalls einfach, gestaltlos und eine wahre Einheit werden, in welcher das Äußere mit dem Innern und das Innere mit dem Äußeren sich vollkommen deckt; alsdann erst kommt die Seligpreisung und der Ehrentitel „Kind Gottes“ zur vollen Auswirkung, entsprechend der Verheißung unseres Herrn Jesus Christus, dem die Herrlichkeit und die Macht sei von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.Achte Rede: „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden; denn ihrer ist das Himmelreich.“