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Aber, so pflegen unsere Gegner zu sagen, das muß ein schöner Gott sein, dieser Gott des Gesetzes, der, nicht wissend, wo Adam sei, fragte: "Adam, wo bist du?"1 , der ferner zu Kain sagte: "Wo ist dein Bruder Abel?"2 , und zu Abraham: "Wo ist Sara, deine Gemahlin?"3 Indem sie aber diese und ähnliche Reden führen, glauben sie auch dem Erlöser, dem wahren und allwissenden Gotte, nur mit dem Munde, nicht aber im Geiste und in der Wahrheit. Denn wie im Alten Bunde, so fragte auch der Heiland ähnlich: "Wo habt ihr den Lazarus hingelegt?"4 , und: "Wer hat mich berührt?"5 , und: "Wieviele Brote habt ihr bei euch?"6 , und: "Wen verlanget ihr, wen suchet ihr?"7 Darum ist die Antwort auf obigen Einwurf leicht und naheliegend. Wie nämlich der Sohn, der doch im voraus alles weiß, fragte, ebenso fragt auch im Alten Bunde der Vater, der immer derselbe bleibt und sich nicht ändert. Indem der Heiland fragte: "Wohin habt ihr den Lazarus gelegt?" zeigte er dadurch keine Unkenntnis weder des Evangeliums noch des Alten Bundes. Wohin habt ihr ihn gelegt? sagte er, um dadurch die Schwestern zu beschämen, die nicht einmal einen so großen Glauben zeigten, wie die Sunamitin, da doch diese nur mit einem Menschen, dem heiligen Propheten Elisäus, sprach, Martha aber und ihre Umgebung mit Gott selbst redeten. Und wenn S. 167der Erlöser sagte: "Wer hat mich berührt ?" zeigt er dadurch nicht etwa Unwissenheit, sondern er will die Frau bestimmen, aus sich selbst Zeugnis zu geben, damit nicht er selbst, der Sohn Gottes, Zeugnis von sich gebe, sondern es von anderen empfange. Wenn er ferner sagte: "Habt ihr Brot bei euch?" so fragt er deshalb, auf daß die kleine Menge Brotes allen offenbar werde und die Größe des Wunders umso mehr Bewunderung errege, da mit so wenigen Broten eine so große Schar gesättigt wurde. Durch die Frage: "Wen suchet ihr?" will er anzeigen, daß die Suchenden selbst die Betrogenen seien, da sie Jesum, dessen Name Arzt und Heiland bedeutet, suchen und durch seine Tötung also ihr eigenes Heil verlieren.
