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Wenn aber Christus sagt: „Durch mich kommt man zum Vater“1 , so darf man sich über diesen Ausspruch nicht etwa wundern und meinen, Christus sei dem Wesen nach vom Vater verschieden. Denn eben derselbe belehrt uns auch: „Niemand kommt zu mir, wenn ihn nicht der Vater ziehet“2 . Wie also der Vater zum Sohne leitet, so führt der Sohn zum Vater, damit so gezeigt werde, daß die Gottheit eine und dieselbe sei. Wenn es heißt: "Er nahm zu an Alter und Weisheit„3 , so ermangelte er, wenn damit die Weisheit Gottes gemeint ist, der Weisheit nicht. Nachdem er vielmehr sich selbst entäußert und Knechtsgestalt angenommen hatte4 , so wurde die Fülle [seiner Gottheit] nicht vermindert, sondern [dies geschah nur], um zu zeigen, daß er vom Himmel zur Menschheit herabgestiegen sei, und zwar in den Leib Mariens. “Ausgeleertes Salbenöl„, sagt die Schrift, “ist sein Name„5 . Bemerkenswert ist, daß es nicht heißt “ausgegossen„, sondern “ausgeleert„, vom Himmel nämlich auf die Erde und von der Erde in S. 69Maria, und von Maria wird er, Fleisch geworden, empfangen und zu Bethlehem geboren: von Bethlehem begibt er sich nach Nazareth, von Nazareth nach Kapharnaum, von Kapharnaum nach Jerusalem und dem Meere, als er nämlich über die Gewässer wandelte; ferner kommt er in das Gebiet von Tyrus und nach Naim, nach Judäa und Jericho, nach Bethphage und Bethania, in den Tempel zu Jerusalem, auf den Ölberg, in den Garten Gethsemane, in das Haus des Kaiphas, in das Prätorium zu Herodes, zur Schädelstätte, in das Grab, in die Vorhölle, auf die Erde nach der Auferstehung, in den Himmel. Als Salbenöl, das von Gefäß zu Gefäß geleert wird, erfüllt er alle Gefäße mit Wohlgeruch. So hat die Herabkunft Christi vom Himmel die ganze Erde geheiligt, die nämlich, welche ihn in Wahrheit aufnahmen. Er ist jener Berg, von dem es bei Daniel heißt: “Ein großer Berg. Ein Stein, losgehauen nicht durch Hände„6 d. h. ohne menschlichen Samen erzeugt. Wieder wird der Große klein erfunden, doch der Stein nimmt Größe an und wird wieder ein großer Berg. Auch ist der Berg nicht räumlich beschränkt, sondern erfüllt die ganze Erde. Er, der die Weisheit selbst ist, ist Mensch geworden und “nahm zu an Alter und Weisheit„, insoferne er seine Macht auf die ganze Erde ausdehnte, damit er so den Erdkreis mit seiner Gnade erfüllte. Wie hätte er, der die Weisheit des Vaters ist und die Menschen die Sprache lehrte und ihnen die Zunge bildete und Ohren zum Hören verlieh, wie hätte er nicht Vater und Mutter zu nennen verstehen sollen? "Die Macht von Damaskus und die Beute von Samaria wird er nehmen“7 usw. Aber weil dann, wenn er allsogleich nach seiner Geburt sich sprechend gezeigt hätte, und wenn er tadellos, geradezu fließend gesprochen hätte, man seine Empfängnis im Fleische nur für ein Phantasiegebilde, nicht für Wahrheit, vielmehr nur für bloßen Schein gehalten hätte, — deshalb machte er die Beschränktheit des kindlichen Alters durch, um nicht die Wahrheit und Folgerichtigkeit seiner Natur zu verwischen.