80.
Was können doch unsere Gegner dawider sagen, wenn wir lehren, daß Christus als vollkommener Mensch aus Maria geboren worden sei und einen menschlichen Nus gehabt habe? Werden wir deshalb meinen, er sei der Sünde unterworfen gewesen? Das sei ferne! Denn "nicht tat er ja die Sünde, und in seinem Munde wurde keine List gefunden"1 . Denn wenn er heiligen Männern seine Kraft einblies und diese infolgedessen anerkanntermaßen stets heilig, gerecht und alle Tage ihres Lebens untadelig lebten, um wieviel mehr konnte er, in welchem "die Fülle der Gottheit leibhaft wohnen wollte"2 , wenn er auch aus Maria, der immerwährenden Jungfrau, einen wahren Leib und eine menschliche Seele in Wahrheit und einen Nus, und was sonst noch etwa zum Menschen gehört, angenommen hat, als wahrer Gott alles in sich derart zusammenhalten und lenken, daß kein Teil seines Ich der Sünde frönte, nichts vom Bösen in Beschlag genommen wurde, nichts in den Schlingen der Lust sich finge, nichts der Schuld Adams verfiele. Deshalb sagt ja auch der Apostel:3 "Geworden unter dem Gesetze", und:4 "Im Äußeren befunden wie ein Mensch." Die Worte: "im Äußeren", "geworden" und "unter dem Gesetze" miteinander verbunden bezeichnen die Vollkommenheit und Sündelosigkeit. Es heißt "geworden", also war er vollkommen, — "unter dem Gesetze", also war er keine Scheinexistenz, — "im Äußeren", also blieb sich gleich sein inneres Wesen, — "wie ein Mensch", S. 130also war er sündelos. Da sich dieses nun so verhält, täusche sich niemand mit eitlen und fabelhaften Lehren. Denn wenn ebenderselbe, welcher vom Vater im Himmei gezeugt worden ist, auch aus Maria gezeugt worden ist, so ist er wahrhaft im Himmel und auf Erden. Wenn er also im Himmel unvollkommen ist, so ist er es auch auf Erden, ist er aber oben vollkommen, so ist er es auch unten. Er hat nicht etwa nur in einem anderen Vollkommenen gewohnt, sondern er hat sich selbst vollkommen gemacht. Und er ist auferstanden von den Toten und ist nicht mehr geteilt in den Leib im Grabe und in die Gottheit und Seele in der Unterwelt, er läßt sich nicht betasten, nichts kann ihn hindern, sondern er kommt durch verschlossene Türen, wird aber von Thomas angerührt, um nicht als Scheingebilde dazustehen, sondern in Wahrheit. Thomas bezeugte ihm seinen Glauben, nachdem sich das Vorhergesagte erfüllt hatte: "Mit meinen Händen habe ich Gott gesucht, und ich bin nicht getäuscht worden"5 . Ein und derselbe ist Gott und Mensch zugleich, aber er hat keine Vermischung vorgenommen, sondern er hat die zwei in eins zusammenrinnen lassen6 . Er ließ nicht [das eine] in das Nichts zurücksinken, sondern er hat den irdischen Leib mit der Gottheit kraftvoll verbunden, zu einer Kraft geeint, zu e i n e r Gottheit zusammengebracht. E i n Herr ist er, ein Christus, nicht zwei Christusse oder zwei Götter. In ihm ist der geistige Leib, in ebendemselben die unbegreifliche Gottheit, das, was gelitten hat, ohne zu verwesen, der leidensunfähige Unverwesliche, ja das Ganze ist Unverweslichkeit. Auch da unser Herr und Gott zur Rechten des Vaters sich setzte, ließ er das Fleisch nicht zurück, sondern er hat das Ganze zu einem Wesen und zu einer Gottheit vereint und sitzet so zur Rechten des Vaters.