KAPITEL IV.
Was nämlich das Priestertum betrifft, so wird es zwar auf Erden verwaltet, nimmt jedoch den Rang himmlischer Einrichtungen 1 ein. Und das ganz mit Recht. Denn kein Mensch, kein Engel, kein Erzengel, keine andere geschaffene Macht, sondern der Paraklet selbst hat dieses Amt gestiftet und hat Menschen, die noch im Fleische leben, bevollmächtigt, den Dienst von Engeln zu verrichten. Darum muß der zum Priester Geweihte so rein sein, als ob er in den Himmeln selbst mitten unter jenen Engelsmächten stünde. Wohl flößten schon die Einrichtungen, die vor der Zeit der Gnade 2 vorhanden waren, Furcht und Schauern ein, so3 die Schellen, die Granatäpfel, die Steine auf der Brust und an den Schultern, der Kopfputz, die Kopfbedeckung, das wallende Gewand, das goldene Stirnblatt, das Allerheiligste mit seiner auffallenden Stille. Prüft man aber das, was die Gnade gebracht hat, so wird man finden, daß alles, was ehemals furcht- und schauererregend war, nur gering einzuschätzen ist und daß das Wort über das Gesetz sich auch hier bewahrheitet: "Was in diesem Bereiche herrlich war, ist nicht mehr herrlich wegen des überstrahlenden Glanzes"4. Denn wenn du siehst, wie der Herr geopfert 5 daliegt und wie der Priester vor dem S. 141 Opfer 6 steht und betet und wie alle mit jenem kostbaren Blute gerötet werden: glaubst du da noch, unter Menschen zu sein und auf Erden zu weilen? Fühlst du dich da nicht vielmehr gleich in den Himmel entrückt? Wirfst du nicht jeden fleischlichen Gedanken der Seele von dir und schaust die himmlischen Dinge mit lauterem Herzen und reinem Gemüt? O über den wunderbaren Anblick! O über die Menschenliebe Gottes! Der mit dem Vater in der Höhe thront, wird in jener Stunde von den Händen aller gefaßt 7. Und er gibt sich selbst denen dar, die ihn umfassen und umfangen wollen; das tun dann aber alle mit den Augen 8. Scheint dir nun das der Verachtung wert oder derartig zu sein, daß jemand sich stolz darüber erhaben fühlen könnte? Willst du noch aus einem anderen Wunder die überschwängliche Heiligkeit dieses ganzen Vorgangs ersehen? Stelle dir den Elias vor Augen! Eine zahlreiche Volksmenge umringt ihn, das Opfer liegt auf den Steinen, alle übrigen verharren in Ruhe und tiefem Schweigen, nur der Prophet allein betet. Da fällt plötzlich die Flamme vom Himmel auf das heilige Opfer hernieder9. Das war wunderbar und erregte allgemeines Erstaunen. Wende dich nun von dort zu dem, was jetzt bei uns S. 142 vollzogen wird. Und du wirst nicht bloß Wunderbares erblicken, sondern etwas, das über alles Erstaunen weit hinausgeht. Denn hier steht der Priester da und zieht nicht Feuer, sondern den Heiligen Geist herab. Er verrichtet das lange Bittgebet 10, nicht daß eine Flamme vom Himmel sich entzünde11 und die daliegenden Gaben verzehre, sondern auf daß die Gnade auf das Opfer herabfalle, durch dasselbe die Seelen aller entflamme und sie in hellerem Glänze erstrahlen lasse als im Feuer geläutertes Silber. Wer sollte nun dieses schaudervolle Geheimnis hochmütig verachten können, er müßte denn ganz und gar verrückt und von Sinnen sein? Oder weißt du nicht, daß keine menschliche Seele diese Opferflamme jemals ertragen hätte, sondern daß alle vollständig vernichtet würden, wenn ihnen nicht Gott zu Hilfe käme mit seiner mächtigen Gnade?
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Nairn, Bengel und Seltmann lesen „πραγμάτονn“. In anderen Ausgaben, z. B. bei Savilius, Migne, steht „ταγμάτον“. ↩
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Im Alten Bunde. ↩
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Vgl. Exod. 28, 2 ff. ↩
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2 Kor, 3, 10. ↩
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„τεθυμένον“. Deutlicher kann die reale Gegenwart und der reale Opfercharakter der hl. Eucharistie wohl nicht ausgesprochen werden, als es Chrysostomus hier und an vielen anderen Stellen getan. Mit Recht wird ihm der Ehrentitel „Doctor Eucharistiae" beigelegt. Siehe August Naegle, Die Eucharistielehre des hl. Johannes Chrysostomus, des Doctor Eucharistiae, Freiburg i. B, 1900, 308 Seiten. ↩
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„τϖ θύματι“ ↩
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„Ὃ μετὰ τοῡ Πατρὸς ἄνω καθήμενος κατὰ τὴν ὤραν ἐκείνην ταῖς άπάντωνrov κατέχεται χερσίν.“ Identität des eucharistischen mit dem himmlischen Christus. Die Stelle ist auch ein Hinweis auf die Art des Empfanges. Siehe des Cyrillus von Jerusalem mystagogische Katechese V, 21 und des Chrysostomus Ecl., quod non indigne accedendum sit, Migne LXII, 898: „Wenn du zum Altare hingehst, so breite nicht die Hände aus, sondern lege die linke Hand unter die gehöhlte Rechte, und gleich als wolltest du einen König aufnehmen, empfange mit großer Ehrfurcht den Leib Christi." ↩
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Bei Savilius, Migne und anderen Ausgaben ist noch beigefügt: „τῆς πίστεως“. Nairn, Seltmann und Bengel haben es nicht aufgenommen. ↩
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Siehe 3 Kön. 18, 38. ↩
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„τὴν ἱκετηρὶαν ἐπὶ πολὺ ποιεῖται“. Es ist hierunter nicht speziell die sogenannte Epiklesenformel zu verstehen, sondern die Konsekrationsgebete in ihrer Gesamtheit. (Siehe hierzu A. Naegle, Die Eucharistielehre des hl. Joh. Chrysostomus, Freiburg i. B. 1900, S. 136 ff. Daß übrigens Chrysostomus die Kraft der Verwandlung nicht in die spezielle Epiklese verlegt, sondern in die Worte des Herrn, in die Einsetzungsworte, siehe A. Naegle, ebendort, Kapitel 3. ↩
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„ἁφθεῖσα“ von „ἅπτω“; so bei Savilius, Nairn. In anderen Ausgaben ist zu lesen „ἀφθεῖσα“ oder „ἀρεθεῖσα“. ↩