KAPITEL VI.
Sind es doch die Priester, denen die geistigen Wehen 1 anvertraut sind und denen es anheimgegeben worden, vermittelst der Taufe uns zu einem neuen Leben zu zeugen; durch sie ziehen wir Christus an 2, werden mit dem Sohne Gottes verbunden 3und werden Glieder jenes seligen Hauptes. Deshalb ist es billig, daß wir die Priester mehr fürchten als weltliche Herrscher und Könige und daß sie uns ehrwürdiger erscheinen als unsere Väter. Denn diese haben uns aus Blut und nach dem Willen des Fleisches erzeugt 4, jene sind die Ursache unserer Geburt aus Gott, der seligen Wiedergeburt, der wahrhaftigen Freiheit und der Gnadenkindschaft.
Die jüdischen Priester hatten die Vollmacht, vom leiblichen Aussatz zu reinigen, oder vielmehr, keineswegs zu reinigen, sondern die Gereinigten nur für rein S. 145 zu erklären 5. Und du weißt, wie sehr begehrt damals das Amt der Priester war. Unsere Priester hingegen erhielten die Macht, nicht einen aussätzigen Leib, sondern eine unreine Seele, nicht für rein zu erklären, sondern vollständig zu reinigen 6. Darum sind diejenigen, welche die Priester verachten, viel schuldbeladener als Dathan und seine Rotte 7 und verdienen eine härtere Strafe. Denn letztere erhoben Anspruch auf ein Amt, das ihnen nicht zukam. Aber sie hatten doch eine außerordentlich hohe Meinung von demselben, was sie durch den großen Eifer bewiesen, mit dem sie darnach strebten. Jetzt hingegen, nachdem unser Priestertum eine so weitgehende Bereicherung und eine solch gewaltige Vervollkommnung erfahren hat, hat man sich erdreistet, im Gegensatze zu jenen noch viel Schlimmeres zu tun. Es bedeutet nämlich nicht den gleichen Grad von Verachtung, ob man eine Ehrenstelle anstrebt, die einem nicht zukommt, oder ob man sie gering schätzt 8. Vielmehr ist letzteres Verhalten um ebenso viel schlimmer denn jenes, als zwischen Verachten und Bewundern ein Unterschied zu machen ist. Welche Seele könnte nur so erbärmlich sein, daß sie auf so erhabene Güter geringschätzend herabsieht? Ich möchte behaupten, keine; es müßte denn sein, daß sie den Stachel des Teufels in sich fühlt.
Ich will jedoch wieder zurückkehren, von wo ich ausgegangen bin. Nicht nur in bezug auf das Strafen, auch in bezug auf das Wohltun hat Gott den Priestern größere Macht gegeben als den leiblichen Eltern. Zwischen beiden ist ein so großer Unterschied wie zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Leben. Die einen zeugen nämlich für dieses, die anderen für jenes Dasein. Und während jene von ihren Kindern nicht einmal den leiblichen Tod abzuwehren noch eine Krankheit, die sie befallen hat, zu bannen vermögen, haben diese S. 146 schon oft Not leidende und dem Untergange nahe Seelen gerettet, indem sie die einen gelinde straften, die anderen von vornherein vor dem Falle bewahrten, und dies nicht bloß durch Belehrung und Ermahnung, sondern auch mit Hilfe des Gebetes. Denn nicht nur, wenn sie unsere Wiedergeburt bewirken 9, sondern auch noch nach derselben haben sie die Vollmacht, unsere Sünden zu vergeben, "Ist jemand krank unter euch", heißt es, "so rufe er die Presbyter der Kirche, und sie sollen über ihn beten 10 und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird den Kranken heilen, und der Herr wird ihn aufrichten, und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm nachgelassen werden" 11. Sodann sind die leiblichen Eltern nicht imstande, ihren Kindern zu helfen, wenn dieselben sich gegen irgendeinen Hochgestellten oder Machthaber vergangen haben. Die Priester aber haben gar oft nicht Herrscher und nicht Könige, sondern selbst den erzürnten Gott versöhnt.
Sollte darnach noch jemand wagen, mich des Hochmuts zu zeihen? Ich glaube nämlich, infolge meiner Ausführungen müssen die Gemüter aller, welche sie vernommen, von so großer Scheu erfasst werden, daß sie nicht mehr diejenigen, welche sich diesem Ehrenamte durch die Flucht entziehen, sondern vielmehr jene, die aus eigenem Antriebe12 sich an dasselbe heranmachen und sich in seinen Besitz zu setzen trachten, des Hochmuts und der Verwegenheit beschuldigen. Denn wenn schon Männer, denen die Verwaltung der Staaten anvertraut worden, falls sie sich nicht verständig und überaus energisch erwiesen, die betreffenden Staaten zugrunde richteten und sich selbst ins Verderben stürzten, welcher Kraft, sowohl eigener wie göttlicher, dünkt dir dann derjenige zu bedürfen, der die Aufgabe übernommen, die Braut Christi zu behüten, ohne Fehler dabei zu begehen? S. 147
-
Vgl. Gal. 4, 19. ↩
-
Vgl. Röm. 13, 14; Gal. 3, 27. ↩
-
„συναπτὸμεθα“. So die Ausgaben von Nairn, Bengel, Seltmann. Ältere Ausgaben wie Savilius, Montfaucon-Migne lesen „συνθαπτόμεθα, begraben werden“. ↩
-
Vgl. Joh. 1, 13. ↩
-
Vgl. Lev., Kap. 14. ↩
-
„ἀλλ᾽ ἀκαθαρσιαν Ψψυχῆς¸ οὐκ ἀπαλλαγεῖσαν δοκιμάζειν¸ ἀλλ᾽ ἀ π α λ λ ά τ τ ε ι ν π α ν τ ε λ ῶ ς ἔλαβον ἐξουσὶαν.“ ↩
-
Vgl. Num., Kap. 16. ↩
-
In manchen Ausgaben ist zu „ὑπερορᾶν“ beigefügt: „τοσούτων ἀγαθῶν“. ↩
-
Bei der hl. Taufe. ↩
-
Nairn, Bengel, Seltmann lesen „ύπὲρ αὐτοῦ“. In manchen Ausgaben wie bei Savilius, Migne heißt es konform dem Bibeltext: „ἐπ᾽ αὐτόν“. ↩
-
Jak. 5, 14. 15. ↩
-
„ἀφ᾽ ἑαυτῶν“. ↩