2.
Dieser Siegeslorbeer ist wieder um vieles herrlicher als der vorher erwähnte. Darum sagt der Apostel nicht einfach: Denn alle, die im Geiste Gottes leben, sondern: „Alle, die sich vom Geiste Gottes treiben lassen“. Er gibt damit zu verstehen, daß der Hl. Geist so unser Leben meistern will, wie der Steuermann das Schiff und der Wagenlenker die Rosse. Ja nicht bloß den Leib allein, sondern auch die Seele will er so gezügelt wissen. Auch diese will er nicht eigenmächtig herrschen lassen, sondern er unterstellt auch sie der Herrschaft des Geistes. Damit wir uns nämlich nicht auf das Gnadengeschenk des Taufbades verlassen und uns nachher um unsern Wandel keine Sorge mehr machen, sagt der Apostel, daß du, wenn du auch die Taufe empfangen hast, dich aber nachher nicht vom Hl. Geiste treiben läßt, die geschenkte Würde und den Vorzug der Gotteskindschaft verlierst. Darum sagt er nicht: Alle, die den Geist empfangen haben, sondern: „Alle, die sich vom Geiste Gottes treiben lassen“, d. h. alle, die einen solchen (gottgefälligen) Lebenswandel führen, sind Kinder Gottes.
Nun war aber diese Würde auch den Juden zuteil geworden; denn es heißt ja: „Götter seid ihr und Söhne des Allerhöchsten, ihr alle“ 1, und wiederum: „Söhne habe ich gezeugt und groß gemacht“ 2, und weiter: „Israel ist mein erstgeborener Sohn“ 3, und Paulus sagt: „Ihrer war die Kindschaft“ 4. Darum weist der Apostel im folgenden den Unterschied nach, der zwischen jener und dieser Ehre besteht. Wenn auch die Namen dieselben sind, sagt er, so sind es doch nicht die Sachen. Deutlich legt er dies dar, indem er den Unterschied anrührt, der sowohl in bezug auf die handelnden Personen als auch in bezug auf die bereits erhaltenen und noch in Aussicht stehenden Gnadenerweise besteht. Zu- S. b277 nächst weist er darauf hin, was den Juden geschenkt gewesen war. Nun, was war es denn? — „Der Geist der Knechtschaft.“ — Der Apostel fährt nämlich so fort:
V. 15: „Denn ihr habt nicht wieder den Geist der Knechtschaft empfangen zur Furcht“,
— und nun unterläßt er es, den Gegenbegriff von Knechtschaft zu nennen, das wäre „der Geist der Freiheit“, sondern er setzt einen viel höheren an dessen Stelle, den der Gotteskindschaft, durch welchen nämlich die Freiheit mitherbeigeführt wurde —; er sagt:
„Sondern ihr habt empfangen den Geist der Kindschaft.“
— Dieser letztere Ausdruck ist klar. Was aber „der Geist der Knechtschaft“ ist, das ist unklar. Es muß also erklärt werden. Ja, dieser Ausdruck ist nicht bloß unklar, sondern geradezu unverständlich. Das Volk der Juden hatte ja doch den Hl. Geist nicht empfangen. Was will also der Apostel hier sagen? — Die Hl. Schrift (des Alten Testaments) nennt er so, weil sie etwas Geistiges war, wie er auch das Gesetz geistig nennt und das Wasser und den Felsen und das Manna. „Denn sie alle“, heißt es, „aßen dieselbe geistige Speise, und sie alle tranken denselben geistigen Trank“ 5. Auch den Felsen nennt er so, wenn er spricht; „Sie tranken aber alle aus dem geistigen Felsen, der ihnen folgte“ 6. Weil alle diese Dinge übernatürlich waren, darum nennt er sie „geistig“, nicht als ob die, welche an ihnen teilhatten, den Hl. Geist empfangen hätten. Und wieso war denn die Hl. Schrift des Alten Testaments „Buchstaben der Knechtschaft“? Führe dir nur einmal die ganze Lebensführung vor Augen (wie sie die Hl. Schrift des Alten Testaments vorschrieb), und es wird dir dann klar werden. Strafe und entsprechender Lohn folgte den damaligen Juden auf dem Fuße und wurde ihnen zugemessen wie den Sklaven die tägliche Speise. Immer und überall schwebten ihnen Schreckbilder vor Augen. Die vorgeschriebenen Reinigungen betrafen nur den Leib, die Enthaltsamkeit bezog sich nur auf die äußeren S. b278 Handlungen. Nicht so ist es bei uns, sondern da wird auf Reinheit im Denken und auf ein reines Gewissen gehalten. Denn es heißt nicht bloß: „Du sollst nicht töten,“ sondern auch: „Du sollst nicht zürnen“ auch nicht bloß: „Du sollst nicht ehebrechen,“ sondern auch: „Du sollst nicht unzüchtige Blicke werfen.“ Nicht mehr aus Furcht vor der bevorstehenden Strafe, sondern aus Liebe zu Gott sollen die Tugend und alle guten Werke hervorgehen. Auch verheißt uns Gott nicht ein Land, das von Milch und Honig fließt, sondern er macht uns zu Miterben seines eingeborenen Sohnes; von den gegenwärtigen Gütern lenkt er unsern Blick ab und verspricht uns zumeist nur solche Dinge zu geben, deren Empfang sich für Menschen schickt, die Söhne Gottes geworden sind. Nichts davon ist sinnlich wahrnehmbar, nichts körperlich, sondern alles geistig. Wenn daher jene auch Söhne genannt werden, so werden sie doch gehalten wie Sklaven; wir aber haben als Freigewordene die Gotteskindschaft erlangt, und der Himmel steht uns in Aussicht. Zu jenen hat er durch andere gesprochen, zu uns in eigener Person. Jene taten alles, angetrieben durch die Furcht vor Strafe, wir aber, die Geistigen, tun es aus Lust und Liebe. Das geben sie dadurch kund, daß sie mehr tun, als geboten ist. Jene hörten als Mietlinge und Undankbare nicht auf, zu murren; diese tun alles dem Vater zuliebe. Jene lohnten die Wohltaten mit Lästerungen, wir dagegen sagen Dank, auch wenn wir in Gefahren schweben. Auch wenn Strafen für Sünder notwendig sind, ist ein großer Unterschied hier und dort. Bei uns braucht es nicht wie bei jenen zur Bekehrung der Steinigung, der Verbrennung, der Pfählung durch die Priester, sondern es genügt, daß wir vom Tische des Vaters ausgeschlossen und eine bestimmte Anzahl von Tagen aus seinen Augen verwiesen werden. Bei den Juden war die Gotteskindschaft nur eine Ehre dem Namen nach; hier aber hat sie einen sachlichen Inhalt; die Reinigung durch die Taufe, die Mitteilung des Hl. Geistes, die Verleihung der andern Gnadengüter. Und so ließe sich noch manches aridere anführen zum Erweis unseres Adels und der niederen Stellung jener. Alles das deutet der Apostel an durch die Worte: Geist, S. b279 Furcht, Gotteskindschaft. Auch noch einen andern Beweis dafür, daß wir den Geist der Gotteskindschaft besitzen, bringt er vor. Welcher ist es? Daß „wir rufen Abba, Vater“.