5.
Dasselbe tun die Propheten auch öfter, wenn sie von traurigen Ereignissen sprechen. Sie lassen den Weinstock weinen, den Wein, die Berge und das Wandgetäfel des Tempels wehklagen, damit wir daraus das Übermaß des Unglücks ersehen. Der Apostel ahmt die Propheten nach. Er läßt an dieser Stelle die Schöpfung als Person auftreten, er läßt sie stöhnen und in Wehen liegen, nicht als ob man jemals die Erde und den Himmel einen Wehlaut habe ausstoßen hören, sondern um die Überschwenglichkeit der zukünftigen Güter und die Sehnsucht nach Befreiung von den gegenwärtigen Übeln auszudrücken. — „Der Vergänglichkeit ist die Schöpfung unterworfen, nicht aus eigenem freien Willen, sondern um dessentwillen, der sie unterworfen hat.“ — Was heißt: „die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen“? — Sie ist dem Untergang anheimgefallen. — Um wessentwillen und warum? — Um deiner, des Menschen, willen. Als nämlich dein Leib dem Tod und den Leiden unterworfen wurde, so traf auch die Erde der Fluch, und sie brachte Dornen und Disteln hervor. Daß aber auch der Himmel mit der Erde altert und später in einen besseren Zustand versetzt werden wird, dafür höre den Propheten, der da spricht: „Vor alters, o Herr, hast du die Erde gegründet, und das Werk deiner Hände ist der Himmel. Sie werden untergehen, du aber bleibst, und alle werden sie veralten wie ein Gewand, und du wirst sie zusammenlegen wie ein Kleid, und sie werden verändert werden“ 1. Und Isaias bringt denselben Gedanken zum Ausdruck, wenn er spricht: „Schauet zum Himmel hinauf und zur Erde hinab, daß S. b286 der Himmel wie Rauch oben schwebt und die Erde wie ein Kleid veralten wird, ihre Bewohner aber werden wie sie untergehen“ 2. — Siehst du da, wie die Schöpfung der Vergänglichkeit dient und wie sie auch wieder von der Vernichtung befreit werden wird? Der Psalmist sagt ja: „Wie ein Kleid wirst du sie zusammenlegen, und sie werden verändert werden.“ Isaias aber meint nicht einen völligen Untergang, wenn er sagt: „Ihre Bewohner werden wie sie untergehen.“ Denn ihre Bewohner, d. i. die Menschen, werden keinen solchen völligen Untergang erfahren, sondern nur einen zeitweiligen, und sie werden gerade durch ihn zur Unvergänglichkeit umgewandelt werden, wie auch die Schöpfung. Das alles drückt der Prophet durch die Worte aus: „wie sie“. Dasselbe meint auch Paulus in der weiteren Folge. Bisher spricht er freilich nur von der Knechtschaft (in der die Schöpfung liegt); er zeigt, wessentwegen sie entstanden ist und nennt als die Schuld daran uns. — Wie also? Geschieht der Schöpfung ein Unrecht, da sie eines anderen wegen solches leidet? Keineswegs; denn sie ist ja auch meinetwegen ins Dasein getreten. Ist sie nun meinetwegen überhaupt ins Dasein getreten, wie soll ihr ein Unrecht geschehen, wenn sie um meiner Besserung willen solches leidet? Übrigens kann man bei den seelen- und empfindungslosen Geschöpfen überhaupt nicht von Recht und Unrecht sprechen.
Paulus bedient sich indes, nachdem er die Schöpfung als Person hat auftreten lassen, keines der angeführten Gründe, sondern eines anderen, um dem Zuhörer reichlichen Trost zuzusprechen. Welches denn? — Was sagst du? spricht er. Der Schöpfung ist es deinetwegen schlecht ergangen, und sie ist vergänglich geworden? Aber es ist ihr damit kein Unrecht geschehen; denn sie wird auch wieder unvergänglich werden deinetwegen. Das besagt jenes „auf Hoffnung hin“. — Wenn er aber sagt: „nicht aus eigenem freien Willen ist sie unterworfen worden“, so sagt er das nicht, um die Schöpfung als mit einem Selbstbestimmungsrecht ausgestattet hinzustellen, sondern damit du daraus ersehen S. b287 sollst, daß das All durch Christi Fürsorge ins Dasein gerufen worden ist, nicht aber auf Grund eines erworbenen Rechtes. — Sag’ mir noch, auf welche Hoffnung hin? —
„Daß auch sie wird befreit werden“.
Was will das „auch sie“ besagen? Nicht du allein, sondern auch die Kreatur unter dir, die ohne Vernunft und ohne Empfindung ist, auch sie wird an den Gütern teilnehmen. „Sie wird befreit werden“, heißt es, „von der Knechtschaft des Verderbens“, d. h. sie wird nicht mehr dem Verderben unterworfen sein, sondern sie wird der Schönheit deines Körpers nachkommen. Denn geradeso wie sie dem Verderben unterworfen wurde, als du es wurdest, so wird sie dir, wenn du unvergänglich werden wirst, auch darin folgen. Das bringt der Apostel zum Ausdruck, wenn er fortfährt:
„Zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“,
d. h. durch die Freiheit. Denn gleichwie die Amme eines, königlichen Prinzen, wenn dieser zur väterlichen Herrschaft gelangt ist, auch sein Glück mitgenießt, so auch die Schöpfung. Siehst du, wie der Mensch überall an die erste Stelle gerückt erscheint und alles seinetwegen geschieht? Siehst du auch, wie der Apostel dem Kämpfenden Trost zuspricht und hinweist auf die unaussprechliche Liebe Gottes? Was bist du betrübt, will er sagen, über deine Trübsale? Du erleidest sie um deiner selbst willen, die Schöpfung um deinetwillen. — Doch nicht allein Trost spricht er zu, sondern er gibt damit seinen Worten auch größere Glaubwürdigkeit. Denn wenn die Schöpfung Hoffnung hat, die doch deinetwegen überhaupt ins Dasein gerufen worden ist, so mußt doch du sie noch viel mehr haben, um dessentwillen die Schöpfung jene Güter genießen soll. So geben auch die Menschen, wenn sie den Sohn glanzvoll auftreten lassen wollen, den Sklaven ein schöneres Kleid dem Sohne zu Ehren. In gleicher Weise hat auch Gott die Schöpfung mit Unsterblichkeit umkleidet „zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“. S. b288 V. 22: „Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung mitseufzt und mit in Wehen liegt bis jetzt.“