1.
S. d1Kap. VIII, V. 28—39.
V. 28: „Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alles mitwirkt zum Guten.“
Diese ganze Stelle, scheint mir, ist an solche gerichtet, die in Gefahren leben; oder vielmehr nicht bloß diese Stelle, sondern auch die vorausgehenden Sätze. Denn auch der Satz: „Die Leiden der gegenwärtigen Zeit sind nicht zu vergleichen mit der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“, und der andere vom „Seufzen der ganzen Schöpfung“ und der: „Durch Hoffnung werden wir selig“, und der weitere: „Wir wollen abwarten mit Geduld“, und der: „Wir wissen nicht einmal, um was wir beten sollen“, alle diese Sätze sind zu Leidenden gesprochen. Der Apostel belehrt sie, daß sie nicht immer das verlangen sollen, was ihnen zuträglich zu sein scheint, sondern das, was der Geist eingibt. Denn gar manches, was ihnen wünschenswert erscheint, bringt in Wirklichkeit nur Nachteil. So glaubten auch die damaligen Christen in Rom, ein ruhiges Leben, frei von Gefahren, gesichert vor Trübsalen und Sorgen, müsse ihnen zuträglich sein. Kein Wunder, daß sie das glaubten; war doch der hl. Paulus früher selbst dieser Ansicht. Als er aber später belehrt wurde, daß ihm gerade das Gegenteil von alledem zuträglich sei, so wünschte er nach dieser besseren Einsicht das Gegenteil. Dreimal hatte er den Herrn gebeten, daß er ihn von Gefahren befreie; als er aber von ihm die Antwort bekommen hatte: „Es genügt dir meine Gnade; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet“ 1, da freute er sich von nun an der Verfolgungen und rühmte sich sogar seiner schweren Leiden. „Ich habe Wohlgefallen“, sagt er, „an den Verfolgungen, an Schmähungen und S. d2 Nöten“ 2. Darum sagt er auch: „Wir wissen nicht, um was wir bitten sollen“, und ermahnt alle, dies dem Hl. Geist zu überlassen. Denn der Hl. Geist trägt gar sehr um uns Sorge, und es ist einmal so der Wille Gottes.
Nachdem also der Apostel seine Zuhörer in dieser Weise ermahnt hat, läßt er die heute verlesene Stelle folgen und bringt da einen Gedanken zum Ausdruck, der sehr geeignet war, sie aufzumuntern. „Denn wir wissen“, spricht er, „daß denen, die Gott lieben, alles mitwirkt zum Guten.“ Wenn er sagt „alles“, so meint er damit auch das, was nach unserem Dafürhalten Unglück ist. Denn mag auch Drangsal, mag Not und Armut, mag Gefangenschaft oder Hunger oder selbst der Tod, kurz, mag was immer uns treffen, Gott ist mächtig genug, alles das ins Gegenteil zu verwandeln. Auch das gehört zu seiner Allmacht, daß er uns das, was uns schwer vorkommt, leicht machen und so fügen kann, daß es uns zum Heile wird. Darum sagt der Apostel nicht, daß denen, die Gott lieben, nichts Schlimmes zustößt, sondern daß es ihnen „mitwirkt zum Guten“, d. h. daß Gott sich auch des Schlimmen bedient, um diejenigen, die davon betroffen werden, zu verherrlichen. Das ist viel mehr, als wenn er die Leiden bloß nicht über sie kommen ließe oder sie wieder davon befreite, nachdem sie über sie gekommen sind. So handelte er z. B. mit den Männern im Feuerofen zu Babylon. Er hinderte es nicht, daß sie hineingeworfen wurden, er ließ auch die Flammen nicht sogleich erlöschen, als die Heiligen hineingeworfen worden waren, sondern er ließ sie fortlodern und machte gerade dadurch jene drei Bekenner zum Gegenstand um so größeren Staunens. Und in dem Leben der Apostel wirkte er solche und ähnliche Wunder fort und fort.
Sind ja doch schon Menschen, die den Grundsätzen der Vernunft folgen, imstande, die natürlichen Verhältnisse gleichsam umzuwandeln, so daß sie, obgleich sie m Armut leben, sich wohler zu fühlen scheinen als die Reichen, und bei ihrem ungeachteten Leben glänzend dastehen; um so viel mehr wird Gott imstande sein, bei S. d3 denen, die ihn lieben, solches und noch viel Größeres zu bewerkstelligen. Eines nur ist notwendig, daß man ihn in Wahrheit liebe, dann ergibt sich alles andere von selbst. Und so wie denen, die diese eine Bedingung erfüllen, auch das zum Vorteil gereicht, was ihnen zum Schaden zu sein scheint, so bringt denen, die Gott nicht lieben, auch das Nützliche selbst Schaden. So gereichten den Juden die Wunder, die Jesus vor ihren Augen wirkte, die weisen Lehren, die er ihnen vortrug, und die Lebensregeln, die er ihnen gab, zum Verderben. Denn um jener willen nannten sie ihn einen vom Teufel Besessenen, um dieser willen einen Feind Gottes, seiner Wunder wegen aber suchten sie ihm das Leben zu nehmen. Dem Räuber dagegen, der neben dem Herrn am Kreuze hing, mit Nägeln durchbohrt, mit Schmach bedeckt, von unsäglichen Schmerzen gefoltert, brachte das alles nicht nur keinen Schaden, sondern er hatte davon den größten Gewinn. Siehst du also, wie denen, die Gott lieben, alles mitwirkt zum Guten?
Bisher nun hat der Apostel von diesem so überaus großen Glück gesprochen, das alle menschliche Vorstellung übersteigt. Weil es aber manchen geradezu unglaublich vorkommen könnte, erweist er seine Glaubwürdigkeit aus Tatsachen der Vergangenheit, indem er fortfährt:
„Denen, welche ihrem Entschluß zufolge berufen sind“ 3
. — Beachte da, was von der Berufung gesagt ist. Warum berief Gott nicht von Anfang an alle Menschen? Warum berief er nicht den Paulus selbst gleich mit den anderen Aposteln? Scheint ein solcher Aufschub nicht von Nachteil zu sein? Und doch ist durch die Tatsachen erwiesen, daß darin ein Vorteil lag. — Von einem „Entschluß“ spricht der Apostel, um nicht alles der Berufung zuzu- S. d4 schreiben. In diesem Falle hätten nämlich voraussichtlich sowohl die Heiden als auch die Juden widersprochen. Denn wenn die Berufung allein genügte, warum sind dann nicht alle Menschen selig geworden? Darum heißt es, daß nicht die Berufung allein, sondern auch der Entschluß der Berufenen zum Heil mitgewirkt hat. Die Berufung legt keinen Zwang auf, sie bringt keine Notwendigkeit mit sich. Berufen waren alle, aber nicht alle leisteten der Berufung Folge.
V. 29: „Denn diejenigen, welche er vorhererkannt, hat er auch vorherbestimmt, gleichgestaltet zu werden dem Bilde seines Sohnes.“
— Siehst du da, zu welcher Würde er sie erhebt? Was der eingeborene Sohn Gottes von Natur aus war, das sind sie — die Gott vorhererkannt — durch die Gnade geworden. Aber der Ausdruck „gleichgestaltet“ genügt dem Apostel noch nicht, sondern er fügt noch hinzu:
„Damit er der Erstgeborene sei.“
Aber auch dabei bleibt er noch nicht stehen, sondern er führt noch einen anderen Gedanken ein durch den Zusatz: „unter vielen Brüdern“. Damit will der Apostel unsere Verwandtschaft mit Christus in recht helles Licht stellen. Beachte indes, daß das alles von Christus seiner menschlichen Natur nach gilt; seiner göttlichen Natur nach ist er ja der Eingeborene (nicht der Erstgeborene).
2 Kor. 12, 9. ↩
2 Kor. 12, 10. ↩
Das ward πρόθεσιν des Schrifttextes ist von mir im Sinne des Kommentators, nicht im Sinne des Autors übersetzt, weil sonst die folgende Erklärung dieser Stelle unverständlich wäre. Der hl. Paulus meint offenbar den göttlichen Ratschluß (πρόθεσις) oder die göttliche Vorherbestimmung, nach welcher die Berufung stattfindet, während der hl. Johannes Chrysostomus den Entschluß des Menschen, dem Rufe Gottes zu folgen, darunter versteht. ↩
