4.
Damit es aber nicht den Anschein habe, als wären wir in solchen Drangsalen verlassen, führt der Apostel den Propheten an, der vor langer Zeit diese Drangsale vorausgesagt hat, wenn er spricht:
V. 36: „Um deinetwillen leiden wir den Tod den ganzen Tag, sind wir erachtet gleich Schlachtschafen“,
d. h. sind wir aller Welt zum Leiden preisgegeben. Und doch, in allen diesen so großen Drangsalen, in diesen traurigen Schauspielen der Gegenwart ist uns der Gedanke, warum wir leiden, genügender Trost; ja nicht allein genügender Trost, sondern noch mehr als das. Denn die angeführte Stelle sagt ja, daß wir nicht für Menschen und auch nicht für irgendeinen irdischen Zweck das leiden, sondern für den, welcher der König aller Dinge ist. — Aber nicht allein Trost spendet ihnen der Apostel, sondern er umwindet ihre Stirne auch noch mit einem bunten, prächtigen Siegeskranze. Weil wir nämlich als Menschen nicht fähig sind, mehrmals den Tod zu erleiden, so weist er uns nach, daß nicht einmal deswegen unser Siegespreis geschmälert wird. Denn wenn es uns auch von der Natur nur einmal zu sterben beschieden ist, so hat es doch Gott möglich gemacht, daß wir den Tod durch einen Akt unseres Willens täglich erleiden können, wenn wir wollen. Daraus folgt, daß wir so viele Siegeskronen erringen können, als wir Tage leben; ja eigentlich noch viel mehr. Es ist nämlich möglich, an einem Tage einmal und zweimal und öfter zu sterben. Wer dazu immer bereit ist, der kann jedesmal denselben Lohn empfangen. Das eben deutet der Prophet an, wenn er spricht: „Den ganzen Tag“ (nicht: jeden Tag). Der Apostel führt den Propheten auch deswegen an, weil seine Worte für die Christen überaus aufmunternd sind. Jene, will er sagen, die im Alten Bunde lebten, hatten nur ein Land für ihre Mühen zu erwarten und andere Dinge, die mit dem gegenwärtigen Leben zu Ende gehen; und doch galt ihnen das Leben für nichts, und sie fürchteten weder Trübsale noch Gefah- S. d12 ren; welche Entschuldigung verdienen wir ihnen gegenüber, wenn wir trotz der Verheißung des Himmels, der Herrschaft dort oben und unaussprechlicher Seligkeit doch so mattherzig sind und es nicht einmal so weit bringen wie jene? Diesen Gedanken spricht freilich der Apostel nicht aus, sondern er überläßt den Zuhörern, durch eigenes Nachsinnen darauf zu kommen. Er begnügt sich damit, die Beweisstelle aus dem Propheten anzuführen. Durch diese weist er sie darauf hin, daß auch sie ihre Leiber zum Opfer bringen müßten, daß man darüber nicht erschrecken und sich entsetzen dürfe, wenn es etwa Gott so fügen sollte. Dann gibt er dieser Mahnung noch eine andere Wendung. Damit nämlich niemand sagen könne, das sei ja eine ganz schöne Lebensweisheit, aber es fehle ihr die Erprobung durch die Tatsachen, fährt er fort: „Wir sind erachtet worden gleich Schlachtschafen“; er meint damit die Apostel, die dem täglichen Tod ausgesetzt waren. Siehst du hier mannhaften Mut und zugleich geduldige Ergebung? Wie das Schaf, das zum Schlachten geführt wird, keinen Widerstand leistet, also auch wir.
Weil aber das Menschenherz, schwach wie es ist, bei der überaus großen Menge von Kämpfen auch nach alledem noch zagt, so betrachte, wie der Apostel den Zuhörer nochmals aufrichtet und ihm Mut und Siegesgewißheit zuspricht:
V. 37: „Aber in allem dem tragen wir den Sieg davon, und mehr als das, durch den, welcher uns liebt.“
— Das ist das Wunderbare dabei, daß wir nicht bloß den Sieg davontragen, sondern daß wir mit Hilfe unserer Verfolger siegen; ja daß wir nicht einfach siegen, sondern mehr als siegen, d. h. mit Leichtigkeit ohne alle Anstrengung und Mühe. Wir brauchen uns nämlich nicht einmal wirklicher Arbeit zu unterziehen, sondern wenn wir nur den Entschluß fassen, zu kämpfen, so triumphieren wir schon allenthalben über die Feinde. Und das ist ganz natürlich; Gott ist ja unser Kampfgenosse. Darum darfst du es nicht unglaublich finden, wenn wir unter Geißelstreichen über die, welche sie uns versetzen, triumphieren; wenn wir, des Landes verwie- S. d13 sen, mehr Macht ausüben als die, welche uns verbannen; wenn wir sterbend den Sieg davontragen über die Lebenden. Wenn du die Macht und die Liebe Gottes in Rechnung ziehst, wird dir ein so glänzend siegreicher Ausgang nicht mehr so gar wunderbar und gegen alle Erwartung vorkommen. Denn das war nicht ein einfacher, gewöhnlicher Sieg, den die Apostel davontrugen, sondern ein bewundernswerter, so daß sie selbst es erkennen mußten, daß ihre Verfolger nicht gegen Menschen kämpften, sondern gegen eine geheimnisvolle, unüberwindliche Macht. Schau nur, wie die Juden, als die Apostel in ihrer Mitte standen, in Verlegenheit waren und sprachen: „Was sollen wir machen mit diesen Menschen?“ 1 Es ist doch seltsam, daß sie, obwohl sie dieselben in ihrer Gewalt hatten, ihnen Fesseln anlegten, sie mit Ruten peitschten, doch rat- und hilflos dastanden und von eben denen besiegt wurden, die sie zu besiegen hofften. Weder Gewaltherrscher noch Henker, weder Scharen böser Geister noch der Fürst der Hölle selbst waren imstande, ihrer Herr zu werden; sie alle trugen eine volle Niederlage davon und mußten sehen, daß alles fehlschlug, was sie gegen sie unternahmen. Darum sagt der Apostel mit Recht: „wir tragen den Sieg davon, und mehr als das“. Fürwahr, das war eine neue Art zu siegen, daß sie gerade durch das siegten, was gegen sie gemünzt war, und niemals unterlagen, sondern immer des guten Ausganges sicher in den Kampf gingen.
V. 38: „Denn ich bin sicher, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Herrschaften noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges“,
V. 39: „weder Höhe noch Tiefe, noch irgend anderes Erschaffene uns wird scheiden können von der Liebe Gottes, die da ist in Christus Jesus, unserem Herrn.“
-
Apg. 4, 16. ↩