3.
Siehst du, wie der Apostel den Juden jede Entschuldigung abschneidet? Wie sollten sie noch eine Verteidigung verdienen, wenn sie dem Schweren und S. d61 Unerreichbaren nachgehen, dagegen an dem vorbeigehen, was leicht ist, sie retten und ihnen das geben kann, was das Gesetz nicht vermag! Das ist ja dann nichts anderes als bloßes eigensinniges Festhalten an eigener Meinung und Widersetzlichkeit gegen Gott. Das Gesetz ist schwer, die Gnade leicht; das Gesetz kann ihnen kein Heil bringen, auch wenn sie es tausendmal eigensinnig behaupten; die Gnade gewährt nicht nur die ihr eigentümliche Gerechtigkeit, sondern auch die, welche von der Beobachtung des Gesetzes kommt. Welcher vernünftige Grund spricht also noch für Leute, die sich gegen die Gnade so eigensinnig zeigen und sich vergeblich und umsonst an das Gesetz klammern?
Nachdem der Apostel diese große Wahrheit ausgesprochen hat, bekräftigt er sie im folgenden wieder durch die Schrift:
V. 11 1 : „Denn die Schrift sagt: Ein jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.“
V. 12: „Es ist da keine Scheidung zwischen einem Juden und einem Griechen; denn er ist der Herr aller; er ist reich für alle, die ihn anrufen.“
V. 13: „Denn ein jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden.“
— Siehst du, wie der Apostel Zeugnisse vorführt sowohl für den Glauben als auch für das Bekenntnis? Denn mit den Worten: „Ein jeder, der an ihn glaubt“, meint er den Glauben; mit den Worten: „Ein jeder, der anrufen wird“, das Bekenntnis. Dann verkündet er wieder, daß die Gnade etwas allen Gemeinsames sei, und dämpft damit den Stolz der Juden. Was er früher weitläufig dargetan hat, das bringt er hier kurz in Erinnerung; er zeigt wieder, daß (in bezug auf die Gnade) kein Unterschied bestehe zwischen einem Juden und einem Unbeschnittenen. „Es ist da ja keine Scheidung“, heißt es, „zwischen einem Juden und einem Griechen.“ Was er in seiner damaligen Ausführung darüber vom Vater gesagt hat, das sagt er hier vom Sohne. Denn wie er S. d62 oben in dem Beweise gesagt hat: „Oder ist Gott bloß ein Gott der Juden, nicht auch der Heiden? Ja, auch der Heiden; er ist ja ein und derselbe Gott“; so sagt er auch hier: „Er ist der Herr aller, er ist reich für alle und gegen alle.“ Siehst du, wie der Apostel zeigt, daß Gott unser Heil sehnlichst wünsche, wenn er darin seinen eigenen Reichtum erblickt? Darum brauchten die Juden auch jetzt noch nicht zu verzweifeln und nicht zu meinen, daß sie keine Verzeihung erlangen werden, wenn sie nur ihren Sinn ändern wollten. Denn er, der seinen eigenen Reichtum in unserer Rettung erblickt, wird nicht aufhören, reich zu sein. Das ist ja eben Reichtum, Geschenke über alle auszuschütten. — Weil die Juden aber gerade der Umstand kränkte, daß sie, die einen Vorzug vor der ganzen Menschheit genossen hatten, nun durch den Glauben von ihrem Throne herabgestürzt und nichts mehr vor den andern voraus haben sollten, darum führt der Apostel oft die Propheten an, wie sie ihnen diese Gleichstellung verkünden. "Ein jeder“, heißt es, „der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden“, und: „Ein jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden.“ Überall legt er den Nachdruck auf das „Ein jeder“, damit sie nichts dagegen einwenden können.
Nichts ist schlimmer als der Ehrgeiz. Dieser, ja gerade dieser zumeist hat die Juden in das Verderben gestürzt. Darum hat Christus zu ihnen gesagt: „Wie könnt ihr glauben, da ihr Ehre voneinander annehmt, die Ehre dagegen, die von Gott allein ist, nicht sucht?“ 2 Der Ehrgeiz führt ins Verderben und macht dann noch recht lächerlich. Vor der Strafe im Jenseits verstrickt er die Menschen schon im Diesseits in tausenderlei Mißgeschick. Untersuchen wir einmal die Sache, wenn es beliebt, damit du einen klaren Begriff davon bekommst, ganz nur von irdischen Gesichtspunkten aus; sehen wir dabei vorläufig ab vom Himmel, aus dem er uns verbannt, und von der Hölle, in die er uns hineinführt. Was verursacht wohl mehr Kosten als er? Was bringt mehr Schande und macht das Leben kummervoller? Daß S. d63 diese Krankheit eine recht kostspielige ist, sieht man an denen, die ihr Geld für Theater, Pferderennen und andere unnütze Liebhabereien töricht und nutzlos hinauswerfen. Man sieht es ferner an denen, die sich als Wohnhäuser glänzende und kostbare Paläste aufbauen und in allen andern Dingen, über die ich jetzt nicht reden will, in sinnlosem Überfluß schwelgen. Daß aber ein solcher Kranker bei dem Aufwand und Luxus, den er treibt, auch ein Halsabschneider und Geizhals sein müsse, ist jedem klar. Um nämlich die wilde Bestie füttern zu können, streckt er seine Hand nach fremdem Vermögen aus. Doch was sag’ ich: Vermögen? Nicht allein Geld, sondern auch Seelen frißt dieses Feuer und bringt nicht allein den Tod im Diesseits, sondern auch den im Jenseits. Denn eine Nährmutter der Hölle ist die eitle Ehrsucht. Sie schürt mächtig jenes Feuer und gibt Nahrung dem giftigen Wurm. Man kann sehen, daß sie sogar noch über Tote ihre Gewalt ausübt. Was kann es Schlimmeres geben? Alle andern Leidenschaften erlöschen mit dem Tode; diese aber behält ihre Gewalt auch über den Tod hinaus und trachtet noch am Leichnam zu zeigen, was sie kann. Denn wenn es vorkommt, daß Leute, die im Leben Bettler unter Scheltworten von sich gewiesen haben, weil sie sie um einen Heller oder um ein Stückchen Brot gebeten hatten, sich nach ihrem Tode prächtige Grabdenkmäler errichten lassen, die ihr ganzes Vermögen kosten, wenn sie mit ihrem Grabe einen solchen Luxus treiben lassen und so gewissermaßen bei ihrem Tode den Würmern eine reichbesetzte Tafel zubereiten: was willst du dann noch einen weiteren Beweis für die tyrannische Herrschaft dieser Krankheit? Aus dieser unheilvollen Quelle haben auch unsinnige Liebschaften ihren Ursprung. Denn viele führt nicht der Anblick eines schönen Gesichtes oder die Begierde nach geschlechtlichem Genuß bis zum Ehebruch, sondern einzig der Wunsch, sich prahlen zu können: diese oder jene habe ich daran gekriegt.