5.
Paulus hat also richtig erreicht, was ihm am Herzen lag. Und das war? Zu beweisen, daß er nicht aus Mißachtung gegen die Römer nicht zu ihnen gekommen war, sondern daß er trotz seines heftigen Verlangens darnach daran gehindert war. Nachdem er sich von dem Vorwurf der Trägheit rein gewaschen und sie überzeugt hat, daß sein Verlangen, sie zu sehen, nicht geringer war als das ihrige, führt er ihnen wieder einen S. b30 andern Beweis seiner Liebe an. Wenn auch gehindert, sagt er, stand ich doch nicht davon ab, den Versuch zu erneuern; aber so oft ich es versuchte, immer ward ich wieder gehindert. Ich habe aber den Versuch nie aufgegeben; so habe ich mich zwar dem Willen Gottes nicht widersetzt, aber auch die Liebe zu euch immer bewahrt. Denn daß er es sich vornahm, (zu ihnen zu kommen,) und nicht davon abließ, war ein Beweis seiner Zuneigung zu ihnen; daß er aber, als immer ein Hindernis eintrat, sich nicht widersetzte, war ein schöner Beweis seiner Liebe zu Gott.
„Um auch bei euch einige Frucht zu gewinnen.“
— Obzwar er schon oben die Ursache seines Verlangens ausgesprochen und ihre Berechtigung gezeigt hat, so führt er sie doch hier nochmals an, um einer falschen Meinung bei ihnen kräftig entgegen zu wirken. Rom war nämlich eine berühmte Stadt, die nicht ihresgleichen hatte auf der ganzen Welt. Für viele war darum einzig das Verlangen, sie zu sehen, der Beweggrund ihrer Reise dahin. Damit nun die Römer nicht denselben Beweggrund bei Paulus vermuteten oder damit sie nicht argwöhnten, er wolle nur deshalb zu ihnen kommen, um sich seiner Bekanntschaft mit ihnen rühmen zu können, führt er zu wiederholten Malen die Ursache seines Verlangens an. Früher hatte er gesagt: „Damit ich euch etwas geistige Gabe mitteile, sehnte ich mich, euch zu sehen.“ Hier wird er noch deutlicher: „Um einige Frucht auch bei euch zu gewinnen wie auch bei den übrigen Völkern.“ Sie, das Herrschervolk, nennt er in demselben Atem mit den von ihnen beherrschten Völkern. Trotz ihrer unzähligen Trophäen und Siege, trotz ihrer glanzvollen Konsuln setzt er sie auf die gleiche Stufe mit den Barbaren. Und das mit vollem Recht; denn da, wo der Adel des Glaubens gilt, gibt es keinen Unterschied zwischen Barbaren und Hellenen, zwischen Fremdlingen und Bürgern, sondern alle stehen an Würde auf gleich hoher Stufe. Beachte, wie der Apostel auch hier einen bescheidenen Ausdruck wählt! Er sagt nicht: Um zu lehren und in der Religion zu unterweisen, sondern was? „Um einige Frucht zu gewinnen“; und nicht einfach „Frucht“, sondern „einige Frucht“; wie- S. b31 der drückt er herab, was durch ihn geschieht, wie er oben gesagt hat: „Um etwas mitzuteilen.“ Dann demütigt er auch sie einigermaßen, wie oben gesagt, indem er hinzusetzt: „Wie auch bei den übrigen Völkern.“ Nicht weil ihr reich seid und mehr besitzt als die andern, trage ich weniger Sorge um die übrigen; denn nicht Reiche suchen wir, sondern Gläubige. Wo sind nun die Weisen der Griechen mit ihren langen Bärten, ihren Philosophenmänteln und ihrer Einbildung? Griechenland und die ganze Barbarenwelt hat der Zeltmacher umgewandelt. Dagegen hat der von ihnen so hoch gerühmte und gefeierte Plato, der dreimal die Reise nach Sizilien machte, mit all seinem Wortgepränge und seinem glänzenden Rufe es nicht über einen einzigen Fürsten vermocht, sondern mußte kläglich abziehen, nachdem er sogar (vorübergehend) die Freiheit eingebüßt hatte. Dieser Zeltmacher aber hat nicht bloß Sizilien und nicht bloß Italien, sondern den ganzen Erdkreis durchmessen. Bei seinem Predigen ließ er nicht ab von seinem Handwerk, sondern nähte auch da Felle zusammen und stand einer Werkstätte vor. Und daran stießen sich auch die Vornehmen nicht, wie billig; denn nicht Handwerk und ehrliche Arbeit macht einen Lehrer verächtlich, sondern Trug und Irrlehre. Darum verlachten jene Philosophen schon die Athener, auf diesen dagegen horchen auch die Barbaren, ungebildete und gemeine Leute. Denn das Evangelium ist Gemeingut aller; es kennt weder Standesunterschied noch nationalen Vorrang noch sonst etwas dergleichen. Nur Glauben gehört dazu, nicht philosophisches Wissen. Darum verdient es auch die höchste Bewunderung, nicht bloß weil es Segen und Heil bringt, sondern auch weil es bequem und leicht zugänglich und für alle leicht faßlich ist. Das ist ja überhaupt der Vorsehung Gottes eigen, daß sie ihre Schöpfungen allen als Gemeingut darbietet. So macht sie es mit der Sonne, dem Monde, der Erde, dem Meere und allen andern Geschöpfen. Sie teilt von ihren Segnungen nicht den Reichen und den Weisen mehr mit und den Armen weniger, sondern bietet allen den gleichen Genuß davon dar. Gerade so machte sie es mit dem Evan- S. b32 gelium, und das um so mehr, weil es noch notwendiger ist als jene andern natürlichen Gaben. Darum sagt auch Paulus öfter: „Allen Völkern“. Hierauf will er ihnen zeigen, daß nicht er ihnen eine Gnade erweise, sondern daß er einen Auftrag des Herrn erfülle. Er weist sie daher zur Dankbarkeit gegen Gott, den Geber von allem, an, indem er spricht:
V. 14: „Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Ungebildeten bin ich verpflichtet.“
Das sagte er auch im Briefe an die Korinther. Er sagt es, um damit alles Gott zuzuschreiben.
V. 15: „So bin ich, was an mir liegt, bereit, auch euch, die ihr zu Rom seid, das Evangelium zu verkünden.“