1.
Kap. XII, V. 1—3.
V. 1: „So bitte ich euch denn, Brüder, infolge dieser Erbarmungen Gottes, eure Leiber zu einem lebendigen, heiligen, Gott wohlgefälligen Opfer zu stellen, eine vernünftige Gottesanbetung von euch.“
Nachdem der Apostel ausführlich von der Menschenliebe Gottes gesprochen und dessen unsagbar große Fürsorge und unfaßbare Güte, die gar nicht ergründet werden kann, dargetan hat, kommt er wieder auf dasselbe Thema zurück, um die Empfänger so großer Wohltaten zu überzeugen, daß sie sich solchen Geschenkes würdig erweisen müßten durch ihren Lebenswandel. Und so groß und angesehen er ist, verschmäht er es doch nicht, zu „bitten“, und zwar nicht um Dinge, deren er sich zu seinem eigenen Wohle bedienen will, sondern um solche, die einen Gewinn für seine Zuhörer bedeuten. Und was Wunder, daß er es nicht verschmäht, zu bitten, wo er von den Erbarmungen Gottes spricht? Weil euch von da, nämlich von den Erbarmungen Gottes, will er sagen, unzählig viel Gutes kommt, so habt Achtung und Ehrfurcht vor ihnen! Denn gerade sie richten die Bitte an euch, daß ihr nichts an euch sehen laßt, was ihrer unwürdig wäre. Im Hinblick auf das, will er sagen, bitte ich euch, wodurch ihr zum Heil gelangt seid; wie wenn jemand, um auf einen, dem große Wohltaten erwiesen worden sind, einzuwirken, ihm gerade seinen Wohltäter als Bittsteller vorführte. — Und sag’ an, um was bittest du? — „Daß ihr eure Leiber zu einem lebendigen, Gott wohlgefälligen Opfer stellt, eine vernünftige Gottesanbetung von euch.“ — Dem Worte „Opfer“ fügt er sogleich das andere Wort „lebendig“ bei, damit man nicht etwa meine, daß er die Leiber töten heiße. Dann kennzeichnet er den Unterschied zwischen diesem Opfer und dem jüdischen: er nennt es „ein heiliges, Gott wohlgefälliges, eine vernünftige Gottesanbetung“. Denn das S. d122 jüdische Opfer war ein körperhaftes und Gott gerade nicht sehr wohlgefällig. „Wer hat solches aus euren Händen verlangt?“ 1 heißt es. Und an vielen andern Stellen ist ersichtlich, daß Gott dergleichen Opfer zurückweist. Dagegen fordert er geradezu das geistige Opfer ja auch von denen, die ihm das andere schon dargebracht haben. Darum spricht er: „Ein Lobopfer ehrt mich“ 2. Und wiederum: „Preisen will ich den Namen Gottes mit Gesang; das wird Gott mehr gefallen als ein junges Kalb, dem Hörner und Klauen wachsen 3. An einer andern Stelle verwirft er ein solches Opfer sogar, wenn er spricht: „Werde ich denn Fleisch von Stieren essen und Blut von Böcken trinken?“ Er fügt bei: „Opfere Gott ein Lobopfer, und bring’ dem Höchsten deine Gebete dar!“ 4 So mahnt auch Paulus hier, die Leiber als ein lebendiges Opfer darzubringen. — Und wie kann, fragst du, der Leib ein Opfer werden? — Das Auge schaue nichts Sündhaftes an, und es ist zum Opfer geworden; die Zunge rede nichts Schlimmes, und sie ist zur Opfergabe geworden; die Hand tue nichts Verbotenes, und sie ist zum Brandopfer geworden. Ja, das genügt noch nicht, sondern es bedarf auch guter Taten: die Hand gebe Almosen, der Mund spreche Segenswünsche gegen Widersacher aus, das Ohr sei stets zum Anhören von Reden über göttliche Dinge bereit. Denn das Opfer darf nichts Unreines an sich haben, das Opfer soll ein Erstling von allem sein. So laßt denn auch uns Gott die Erstlinge der Hände, der Füße, des Mundes und aller andern Glieder darbringen! Ein solches Opfer ist Gott wohlgefällig, wie andererseits das der Juden unrein war; „Ihre Opfer“, heißt es, „sind ihnen Trauerbrot“ 5. Nicht so das unsrige. Jenes Opfer brachte der Opfergabe den Tod, das unsrige aber bringt ihr Leben. Denn gerade dann, wenn wir unsere Glieder abtöten, kommen wir zum Leben. Die Art, zu opfern, ist dabei S. d123 eine ganz neue, und darum ist auch die Art des Feuers eine ganz eigene. Es braucht nämlich kein Holz oder sonstigen Brennstoff, sondern unser Feuer hat seine Lebenskraft aus sich selbst; es verzehrt auch nicht die Opfergabe, sondern gibt ihr vielmehr Leben. Ein solches Opfer hat Gott schon ehedem verlangt, daher spricht der Prophet: „Ein Opfer vor Gott ist ein zerknirschtes Herz“ 6. Auch die drei Jünglinge (im Feuerofen) brachten ein solches Opfer dar, da sie sprachen: „Wir haben (in der Verbannung) keinen Fürsten und keinen Propheten und keinen Ort, wo wir Gnade fänden und suchten, aber mit zerknirschtem Herzen und gedemütigtem Sinn mögen wir (von dir) aufgenommen werden“ 7.
Beachte, wie der Apostel mit aller Sorgfalt jedes einzelne Wort auswählt! Er sagt nicht: macht eure Leiber zum Opfer, sondern: „stellt sie“; wie wenn er sagen wollte: Ihr habt dann weiter keinen Anteil an ihrem Besitz; ihr habt sie einem andern ganz und gar ausgeliefert. So haben auch die, welche Militärpferde gestellt haben, nachher keinen Anteil mehr an ihrem Besitz. Und du hast deine Glieder zum Kriege gegen den Teufel gestellt, zu diesem furchtbaren Kampfe; zieh’ sie nicht mehr heran zu Dienstleistungen in deinem eigenen (sündhaften) Interesse! — Auch einen andern Gedanken bringt der Apostel damit zum Ausdruck, nämlich den, daß wir unsere Glieder in den rechten Stand setzen müssen, wenn wir sie stellen sollen. Denn wir stellen sie ja nicht irgendeinem irdischen Menschen, sondern dem Könige des Weltalls, Gott, und zwar nicht bloß dazu, daß sie kämpfen, sondern daß sie diesen König selbst tragen. Denn er verschmäht es nicht, von unsern Gliedern Besitz zu nehmen, sondern er verlangt sogar lebhaft darnach, und womit sich kein irdischer König, der ja doch auch nur ein Diener ist wie wir, begnügen würde, das wählt der Herr der Engel für sich aus. — Da du deine Glieder nun (in den Dienst Gottes) stellen sollst, und da sie ein Opfer sein sollen, so nimm jeden Makel von ihnen! Wie sie einen Makel haben, sind sie S. d124 schon nicht mehr geeignet zum Opfer. Ein Auge ist schon nicht schicklich dazu, das unzüchtige Dinge anschaut, eine Hand nicht, die raubt und zusammenscharrt, Füße nicht, die lahm einherhinken und die Treppen zu den Theatern hinaufsteigen, ein Bauch nicht, der sich im Schwelgen bläht und den Begierden nach sündhaften Lüsten Nahrung gibt, ein Herz nicht, das Zorn und unzüchtige Liebe beherbergt, eine Zunge nicht, die Zoten zum besten gibt. Darum muß unser Leib in jeder Beziehung von Makeln gereinigt werden.
