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Will man aber hier πίστις nicht als Charisma (im allgemeinen) verstehen, so liegt darin noch mehr ein Hinweis darauf, daß der Apostel die Tugendstolzen demütigen will. Wenn nämlich das gemeint ist, was die Grundbedingung für jedes Charisma ist, der Glaube, durch den Wunder geschehen, und wenn auch der von Gott kommt, weshalb bildest du dir dann etwas darauf ein? Wenn Christus nicht auf die Welt gekommen, wenn er nicht Fleisch geworden wäre, dann gäbe es auch keinen Platz für den Glauben. So hat denn alles seinen Ausgangspunkt in Gott. Wenn aber er der Geber ist, wird er wohl auch wissen, wie er die Gabe zumessen soll. Denn er hat ja alle erschaffen und hat Sorge um alle in der gleichen Weise; wie das Geben überhaupt von seiner Menschenliebe ausgeht, so auch das Wieviel der Gabe. Denn er, der einen Erweis seiner Güte in der Hauptsache gegeben hat — das ist, daß er Charismen überhaupt mitgeteilt hat —, wird dich doch nicht bei der Zumessung derselben betrügen. Hätte er dich un-geehrt lassen wollen, dann brauchte er dir gleich den Anfang nicht zu geben; war es aber sein Bemühen, dich zu retten und zu ehren — denn deshalb ist er ja (in die Welt) gekommen und teilt so viel Gutes aus —, was regst du dich auf und machst einen Lärm und mißbrauchst deinen Verstand zur Narrheit, und tust dir selbst eine ärgere Schmach an, als wenn dich die Natur S. d131 hätte zum Narren werden lassen. Denn von Natur aus ein Narr zu sein, ist kein Vorwurf; aber aus Hochmut einer zu werden, das verdient keine Entschuldigung und ist nur um so strafbarer.
Dazu gehören auch die, welche sich auf ihre Weisheit viel einbilden und dabei der äußersten Überhebung anheimfallen. Nichts macht so sehr zum Narren wie die Überhebung. Darum gibt der Prophet diesen Namen dem Heiden, von denen er sagt: „Der Narr redet Narrheiten“ 1. Damit du aber aus seinen Reden auch seine Narrheit erkennst, höre an, was er sagt: „Über die Sterne des Himmels will ich meinen Thron setzen, und dem Höchsten werde ich gleich sein“ 2, „Ich werde mit meiner Hand die ganze Erde anpacken wie ein Vogelnest und wie verlassene Eier sie zusammenraffen“ 3. Was könnte es Närrischeres geben als solche Reden? Eigentlich verdient aber jede Prahlerei diesen Tadel. Wenn ich dir im einzelnen das Gerede eingebildeter Menschen anführen wollte, würdest du meist nicht imstande sein, zu unterscheiden, ob es die Rede eines dünkelhaften Menschen oder eines Narren ist; so eins und dasselbe sind diese beiden Minderwertigkeiten. Ein anderer Heide spricht da gar wieder: „Ein Gott bin ich und kein Mensch“, und wieder ein anderer: „Wird euch Gott retten und aus meinen Händen befreien können?“ 4 Und der ägyptische Pharao spricht: „Ich kenne keinen Herrn, und Israel laß ich nicht ziehen“ 5. Und der Tor beim Propheten ist auch einer davon, der da spricht in seinem Herzen: „Es ist kein Gott“ 6, und auch Kain, der da fragt: „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?“ 7 Du kannst also nicht unterscheiden, ob das Reden von Menschen sind, die sich überheben, oder von Narren. Die Überhebung hat nämlich die richtige geistige Lage verloren und ist um den Verstand gekommen. — Darum heißt sie ja auch „Über“-hebung — sie schafft Narren und Hochmütige. Der Anfang der Weisheit ist die S. d132 Furcht des Herrn; also ist der Anfang der Narrheit das Nichtkennen des Herrn. Wenn also sein Kennen Weisheit ist, so ist sein Nichtkennen Narrheit; dieses Nichtkennen geht aber hervor aus Eigendünkel; denn die erste Tat des Eigendünkels ist, nichts wissen zu wollen vom Herrn; also ist der Eigendünkel die höchste Narrheit. So einer war Nabal, wenn auch nicht Gott, sondern Menschen gegenüber; er war aus Überhebung um den Verstand gekommen; aber später starb er vor Angst. Wenn jemand den richtigen Maßstab für die Selbsteinschätzung verliert, wird er feige und frech zugleich, da seine Seele in einen Schwächezustand verfällt. Denn geradeso wie der Körper allen Leiden als Beute anheimfällt, wenn er die richtige Mischung der Säfte verliert und in einen Zustand unrichtiger Säftemischung kommt, so zieht sich auch die Seele, wenn sie das große Gut des demütigen Denkens verliert, einen Zustand der Schwäche zu; sie wird feige und frech und kennt sich selbst bald nicht mehr. Wer aber sich selbst nicht kennt, wie wird der Dinge, die über ihm sind, erkennen. Wie ein Fieberkranker, wenn er das Selbstbewußtsein verloren hat, nicht weiß, was zu seinen Füßen liegt, und wie ein Auge, wenn es geblendet worden ist, alle übrigen Glieder in Finsternis läßt, so geht es auch mit der Überhebung. Eigentlich sind solche Leute unglücklicher daran als Rasende und Narren von Natur aus; denn sie erregen geradeso Lachen wie diese, sie fallen geradeso lästig und sind ebenso unausstehlich wie diese, aber sie finden kein Mitleid wie diese; sie sind unzurechnungsfähig wie diese und finden doch keine Entschuldigung wie diese, sondern werden nur gehaßt. Sie sind ebenso minderwertig wie die andern und entbehren dabei der Entschuldigung; sie sind lächerlich nicht bloß durch ihre Reden, sondern auch durch ihre Geberden. Denn, sag’ nur, was hältst du deinen Nacken so steif? Was schreitest du auf den Fußspitzen einher? Was ziehst du die Augenbrauen empor? Was blähst du die Brust auf? Du kannst kein Haar schwarz oder weiß machen und stolzierst einher, als ob du über alles zu gebieten hättest. Du willst wohl bald noch, daß dir Hügel wachsen, damit du nicht mehr auf der Erde zu S. d133 gehen brauchst; bald wirst du noch ein Wundertier sein wollen. Nun, hast du dich nicht selbst zu einem Wundertier gemacht, da du, obzwar nur ein Mensch, zu fliegen verlangst? Ja, fliegen möchtest du und bist aufgebläht nach allen Seiten! Was soll ich dir nur für einen Namen geben und wie soll ich nur deine Überhebung zu Boden schlagen? Soll ich sagen, du seiest Asche oder Staub oder Rauch oder Kot? Wenn ich auch das unscheinbarste Ding nennen wollte, so hätte ich noch immer nicht ein treffendes Bild dessen gefunden, was ich ausdrücken möchte. Ich möchte nämlich die Aufgeblasenheit und Hohlheit dieser Leute ganz schildern. Welches Bild, das auf sie paßte, könnten wir nur finden? Mir kommen sie vor wie brennendes Werg. Solches Werg nämlich schwillt an, wenn man es anzündet, und dehnt sich aus; wenn man es aber nur ein bißchen mit der Hemd berührt, so sinkt es zusammen und wird daraus ein armseliges Häufchen Asche. So geht es den Seelen der Hochmütigen. Ihr aufgeblasenes Wesen vermag irgendein zufälliger Stoß sofort zum Niedersinken und Umfallen zu bringen. Der Hochmütige ist notwendigerweise auch ein ganz schwacher Mensch. Seine Aufgeblasenheit ist nichts Gesundes, sondern wie die Wasserblasen leicht platzen, so fallen auch solche Leute leicht um. Wenn du das nicht glauben willst, so schaff mir nur einen frechen und eingebildeten Menschen zur Stelle, und du wirst sehen, daß er bei dem geringsten Stoß wankt, wie wenn er schon da läge. Denn so wie ein Reisigfeuer rasch auflodert und gleich wieder in Asche zusammensinkt, festes Holz dagegen nicht leicht Feuer fängt, es dann aber lange hält, so geraten auch feste und starke Seelen nicht so leicht ins Feuer, aber sie erlöschen auch nicht leicht. Bei den andern dagegen ist beides in einem und demselben Augenblick der Fall. In der Erkenntnis dessen also laßt uns die Tugend der Demut üben; denn nichts ist mächtiger als sie! Sie ist härter als Stein, härter als Diamant und gewährt uns mehr Sicherheit als Türme und Städte und Mauern; sie ist erhaben über alle Angriffe des Teufels; wohingegen die Überhebung uns dem ersten besten als Beute überläßt, wie gesagt, leichter als eine Wasserblase zerplatzt, S. d134 leichter als ein Spinngewebe zerreißt und rascher als Rauch verfliegt. — Damit wir also auf felsenfestem Grund einherschreiten, laßt uns die Überhebung meiden und der Demut nachstreben! So werden wir in dem gegenwärtigen Leben Ruhe finden und im zukünftigen. Alles Gute genießen durch die Liebe unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater sei Ehre zugleich mit dem Hl. Geiste in alle Ewigkeit. Amen. S. d135