3.
Hierauf führt der Apostel ein Zeugnis aus der Schrift an, um den Zuhörer mehr anzueifern; und nachdem er ihn durch dasselbe gewonnen hat, verlangt er von ihm noch höhere Tugend, indem er fortfährt:
V. 20: „Wenn dein Feind hungert, speise ihn, wenn er dürstet, tränke ihn! Tust du dies, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“
V. 21: „Laß dich nicht überwinden von dem Bösen, sondern überwinde im Guten das Böse!“
— Was rede ich davon, will er sagen, daß man Frieden halten soll? Sogar (dem Feinde) Wohltaten zu erweisen, befehle ich. „Speise und tränke ihn“, heißt es. Dann setzt der Apostel, im Bewußtsein, etwas Schweres und Großes befohlen zu haben, hinzu: „Tust du dies, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ Das sagt er in der Absicht, den einen durch Furcht niederzuhalten, und den andern durch Hoffnung auf Wiedervergeltung anzueifern. Ist nämlich der Beleidigte schwach (an Tugend), so ist er nicht so sehr auf sein eigenes Wohl bedacht, als auf Rache an seinem Beleidiger; denn nichts ist so süß, als den Feind gestraft zu sehen. Was jener also verlangt, das gewährt ihm der Apostel zunächst. Wie er ihm nun das Gift abgezogen hat, ermahnt er ihn zu höherer Tugend, indem er spricht: „Laß dich nicht überwinden von dem Bösen!“ Denn er wußte wohl, daß der Feind, und wäre er auch ein wildes Tier, nicht mehr Feind bleibt, wenn er gespeist worden ist. Und wäre der Beleidigte auch noch so rachgierig, so wird er doch nicht mehr nach Rache an jenem verlangen, wenn er ihn speist und tränkt. Der Apostel ist nun seiner Sache so sicher, daß er nicht einfachhin die Rache androht, sondern sie sogar bis ins kleinste ausmalt. Er sagt nämlich nicht: „Es wird dir Rache werden“, sondern: „Du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ Dann ruft er ihm weiter zu: „Laß dich nicht überwinden von dem bösen sondern überwinde im Guten das Böse!“ Das sagt er, um damit leise anzudeuten, daß man auch kein S. d157 Rachegefühl in sich aufkommen lassen dürfe; denn nur an das Böse noch denken, heißt schon überwunden sein von dem Bösen. Aber dies sprach der Apostel anfänglich nicht aus, da er die Gelegenheit dafür noch nicht für gekommen hielt. Nachdem er nun den Zorn des Zuhörers abgelenkt hat, fährt er fort: „Besiege im Guten das Böse“, weil auch das ein Sieg ist. Auch der Faustkämpfer wird dann erst Sieger, nicht wenn er sich zu Boden beugt und die Schläge auffängt, sondern wenn er sich erhebt und seinen Gegenkämpfer den Stoß in die leere Luft tun läßt. Auf diese Weise empfängt er selbst den Schlag nicht und macht den ganzen Stoß des Gegners unwirksam. Dasselbe ist der Fall bei den Beleidigungen. Wenn du zurückschmähst, so bist du unterlegen, und zwar nicht einem Menschen, sondern, was schimpflicher ist, du bist von der niedrigen Leidenschaft des Zornes besiegt. Wenn du aber Schweigst, so bist du Sieger und feierst einen mühelosen Triumph; du hast den Beifall Tausender für dich, welche die Falschheit der Schmähung verurteilen. Denn wer widerspricht, erweckt durch seinen Widerspruch den Anschein, als fühle er sich getroffen; wer sich aber getroffen fühlt, erweckt den Verdacht, sich dessen bewußt zu sein, was ihm vorgeworfen wird. Lachst du aber dazu, so hast du durch dieses Lachen das ungünstige Urteil über dich beseitigt. Und willst du eine sichere Probe von (der Wahrheit) des Gesagten haben, so frage den Feind selbst, ob er sich mehr darüber ärgert, wenn du in Hitze gerätst und die Beleidigung zurückgibst, oder wenn du zu seiner Beleidigung lachst, und du wirst zu hören bekommen, daß er sich über das letztere mehr ärgert. Es freut ihn nämlich nicht so sehr, nicht beschimpft zu werden, als es ihn kränkt, dich nicht in den Harnisch bringen zu können. Siehst du nicht, daß in Wut geratene Menschen, der Schläge, die sie selbst bekommen, nicht achtend, sich mit aller Wut auf den Gegner stürzen und schlimmer als wilde Eber dem Nächsten Wunden beizubringen suchen, einzig darauf bedacht, ja mehr darauf bedacht, als sich selbst vor Verwundung zu schützen? Wenn du deinen Gegner nun gerade dessen beraubst, was er am sehnlichsten wünscht, dann hast du seinen S. d159 ganzen Angriff unwirksam gemacht, du hast ihn klein gemacht, du hast den Beweis geliefert, daß er ein verächtlicher Mensch ist, mehr ein Bube als ein Mann; dir hast du den Ruf eines weisen Menschen erworben, jenem dagegen den Ruf, eine bösartige Bestie zu sein, angehängt. So wollen wir uns also benehmen, wenn wir Schläge bekommen; wenn wir Lust haben, zurückzuschlagen, so wollen wir es doch nicht tun. Willst du aber deinem Gegner einen besonderen Schlag versetzen, so reiche ihm auch die andere Wange dar, und du bringst ihm damit unzählige Wunden bei. Denn die Leute, welche dir Beifall zollen und dich bewundern, sind ihm schrecklicher, als steinigten sie ihn. Und mehr noch als das wird ihn sein eigenes Gewissen verurteilen; das ist für ihn die größte Strafe, und er wird sich beschämt davon machen, wie wenn ihm der ärgste Schimpf widerfahren wäre. Wenn du aber nach Ehre bei der Menge geizest, auch die wird dir in hohem Maße zuteil werden. Wir haben ja an und für sich ein gewisses Mitgefühl mit solchen, die eine Kränkung erleiden; wenn wir sie aber nicht zurückschlagen sehen, sondern daß sie sich vielmehr hingeben, so fühlen wir für sie nicht bloß Mitleid, sondern auch Bewunderung.