1.
Kap. XIII, V. 1—10.
V. 1: „Jegliche Seele hat sich den obrigkeitlichen Gewalten unterzuordnen.
Auf diesen Gegenstand legt der Apostel auch in andern Briefen viel Gewicht; wie er das Hausgesinde den Herren, so ordnet er die Untertanen den Herrschern unter. Er tut dies, um zu zeigen, daß Christus seine Gesetze nicht zum Umsturz der staatlichen Ordnung, sondern zu ihrer Verbesserung gegeben habe, und um uns zu belehren, daß wir nicht überflüssige und unnütze Kämpfe gegen dieselbe führen sollen. Es genügen ja schon die Anfeindungen, denen wir der Wahrheit wegen ausgesetzt sind, und es ist nicht nötig, noch überflüssige und unnütze Gefahren heraufzubeschwören. — Beachte übrigens, wie passend der Apostel die Rede auf diesen Gegenstand bringt! Vorher hat er eine so überaus hohe Tugendforderung gestellt; er hat seine Zuhörer in das rechte Verhältnis zu Freunden und Feinden gesetzt; er hat sie gelehrt, wie sie Glücklichen und Unglücklichen und Notleidenden, kurz allen, von Nutzen werden können; er hat sie zu einem Wandel angeleitet, der Engeln ziemt; er hat den Zorn ausgetrieben und den Stolz gedämpft; er hat ihre Gesinnung in jeder Beziehung geläutert; und nun erst kommt er mit der Ermahnung zu dieser Pflicht. Denn wenn man Beleidigern mit dem Gegenteil heimzahlen soll, so ist es doch gewiß noch viel mehr am Platz, solchen Gehorsam zu leisten, die einem eine Wohltat erweisen. Diesen Grund bringt übrigens der Apostel erst am Ende der ganzen Ermahnung. Zunächst bringt er nicht die Gründe vor, die ich meine, sondern solche, die es einfach als Pflicht hinstellen, so zu handeln. Er weist ferner darauf hin, daß dieses Gebot für alle gilt, auch für Priester und Mönche, nicht bloß für Weltleute; und um diesen Hinweis recht hervorzuheben, setzt er ihn an die Spitze: „Jegliche Seele hat sich den obrigkeitlichen Gewalten unterzuordnen“ — ob S. d162 du ein Apostel bist oder ein Evangelist oder ein Prophet oder was immer; denn diese Unterordnung tut der Frömmigkeit keinen Abbruch. Der Apostel sagt auch nicht einfach: „hat zu gehorchen“, sondern: „hat sich unterzuordnen“. — Die erste Begründung dieses Gesetzes leitet der Apostel — und Gläubigen gegenüber ist dieser Grund gewiß am Platze — von der Anordnung Gottes her:
„Denn es gibt keine Obrigkeit außer von Gott.“
— Was sagst du da? Jede obrigkeitliche Person ist also von Gott eingesetzt? So meine ich das nicht, will der Apostel sagen; ich spreche jetzt nicht von jeder einzelnen obrigkeitlichen Person, sondern von der Obrigkeit im allgemeinen. Daß es überhaupt obrigkeitliche Personen, daß es Herrscher und Untertanen gibt, daß nicht alles drunter und drüber geht, daß die Völker nicht wie Meereswogen hin- und hergetrieben werden, das, sag’ ich, ist ein Werk der Weisheit Gottes. Darum sagt er nicht: „Denn es gibt keine obrigkeitliche Person außer von Gott“, sondern von der Einrichtung spricht er, wenn er sagt: „Denn es gibt keine Obrigkeit außer von Gott.“
„Die Obrigkeiten aber, die bestehen, sind von Gott angeordnet.“
— So will auch jener Weise, wenn er sagt: „Von Gott ist das Weib dem Manne verbunden“ 1, sagen, daß Gott die Ehe eingesetzt hat, nicht daß er jeden, der mit einem Weibe beisammen ist, selbst mit ihm verbindet. Wir sehen ja viele, die sündhafterweise und doch nach Ehegesetz miteinander beisammen sind, und können dies doch wohl nicht Gott zuschreiben. Der Weise will an jener Stelle nur dasselbe sagen, was Christus einmal gesagt hat: „Der von Anfang die Menschen schuf, hat sie als Mann und Weib erschaffen“, und weiter: „Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen“ 2. Weil Gleichheit im Range oft Anlaß zu Streit gibt, so hat Gott verschiedene Obrigkeits- S. d163 und Untertänigkeitsverhältnisse festgelegt, wie: zwischen Mann und Weib, zwischen Sohn und Vater, zwischen Greis und Jüngling, zwischen Sklave und Freiem, zwischen Herrscher und Untertan, zwischen Lehrer und Schüler. Was Wunder, daß das in der menschlichen Gesellschaft so ist, da doch Gott dasselbe beim menschlichen Körper so eingerichtet hat! Er hat an demselben nicht allen Gliedern den gleichen Rang gegeben, sondern das eine weniger vornehm, das andere vornehmer geschaffen. Auch bei den Tieren kann man dieselbe Beobachtung machen, so bei den Bienen, bei den Kranichen und bei den wilden Schafherden. Sogar das Meer entbehrt dieser Ordnung nicht, sondern auch hier ordnet sich bei manchen Gattungen von Fischen die Menge einem einzigen Leitfisch unter und unternimmt so weite Streifzüge.
Nachdem nun der Apostel gesagt hat, woher die Obrigkeiten seien, fährt er fort:
V. 2: „Mithin widersetzt sich jeder Empörer gegen die obrigkeitliche Gewalt der Anordnung Gottes.“
— Siehst du, wo er diese Einrichtung herleitet, womit er schreckt und wie er zeigt, daß sie eine Pflicht auferlege? Damit nämlich die Gläubigen nicht sagen können: Du erniedrigst uns ja, du machst uns verächtlich, wenn du uns, die wir einmal die Herrlichkeit des Himmels genießen sollen, obrigkeitlichen Personen untertänig machst, macht er ihnen klar, daß er sie durch sein Gebot nicht den obrigkeitlichen Personen, sondern wiederum Gott untertänig macht; denn ihm gehorcht eigentlich der, welcher sich den Obrigkeiten unterordnet. Er sagt es aber nicht so, daß der Gott gehorcht, welcher den obrigkeitlichen Personen Gehorsam leistet, sondern er schreckt, indem er von der gegenteiligen Annahme ausgeht, und bringt so den Gedanken schärfer zum Ausdruck, wenn er sagt, daß, wer der Obrigkeit nicht gehorcht, sich gegen Gott empört, der dieses Gebot gegeben hat. Auch um diesen Gedanken immer deutlich hervorzuheben, bemüht sich der Apostel, daß wir der Obrigkeit den Gehorsam nicht nach unserem Gefallen leisten dürfen, sondern daß dies unsere Pflicht ist. Auf diese S. d164 Weise wollte er die ungläubigen obrigkeitlichen Personen für das Christentum und die Christen für den Gehorsam gewinnen. Es ging nämlich damals ein Gerücht herum, welches den Aposteln Aufruhr und Neuerungssucht nachsagte und daß ihr ganzes Tun und Reden auf einen Umsturz der staatlichen Einrichtungen abziele. Wenn er nun klar macht, daß der gemeinsame Herr all den Seinen dieses Gebot gegeben habe, so bringt er einerseits die zum Schweigen, welche die Apostel als Neuerer verschrien, andererseits kommt er dadurch in die Lage, mit allem Freimut sich über den christlichen Glauben aussprechen zu können.
