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Kap. XIII, V. 11—14.
V. 11: „Und das (bedenkt), weil ihr die Zeit kennt, daß es bereits Zeit ist, vom Schlafe zu erwachen.“
Nachdem der Apostel, was notwendig war, anbefohlen hat, drängt er seine Zuhörer zur Ausführung des Guten durch den Hinweis, daß es höchste Zeit dazu sei. Vor der Tür, will er sagen, steht der Augenblick des Gerichtes. So hat er auch den Korinthern geschrieben: „Die Zeit ist nur mehr kurz“ 1, und wiederum an die Hebräer: „Nur mehr ein Kurzes und, der da kommen soll, wird kommen und nicht zögern“ 2. Dort hat er dies gesagt, um die Mühebeladenen aufzurichten und sie in ihren zahlreichen Bedrängnissen zu trösten, hier, um die Schlafenden aufzurütteln. Denn zu beiden Zwecken ist diese Rede dienlich. Was ist der Sinn dessen, was er da sagt: „Es ist Zeit, vom Schlafe zu erwachen“? Es heißt: Nahe ist die Auferstehung, nahe das schreckliche Gericht, nahe der Tag, der da glühend ist wie ein Feuerofen. Wir müssen uns darum in Zukunft freimachen von der Lässigkeit.
„Denn jetzt ist unsere Rettung näher als damals, da wir gläubig wurden.“
— Siehst du, wie er seinen Zuhörern die Auferstehung als nahe bevorstehend darstellt? Die Zeit vergeht, will er sagen, das gegenwärtige Leben rinnt dahin, die Ewigkeit rückt näher. Bist du darauf vorbereitet, hast du alles getan, was dir geboten war, dann bedeutet für dich dieser Tag Heil; wenn aber das Gegenteil der Fall ist, dann nicht. Bisher bedient sich der Apostel zur Ermahnung nicht des Hinweises auf Leidvolles, sondern auf Tröstliches, um seine Zuhörer von der Anhänglichkeit an das Diesseits loszulösen. Weil zu erwarten war, daß diese am Anfang in der ersten Zeit, so lange in S. d178 ihnen die Liebe noch wirksam war, recht eifrig sein würden, im Laufe der Zeit aber ihr ganzer Eifer erkalten würde, so sagt der Apostel, daß sie das Gegenteil tun sollten, daß sie mit der fortschreitenden Zeit nicht nachlassen, sondern um so eifriger werden sollten. So werden ja auch die Vorbereitungen für den Empfang des Königs um so eifriger betrieben, je näher dessen Ankunft rückt; je näher der Siegespreis rückt, desto mehr strengen sich die Kämpfer an. Auch die im Wettlauf tun dasselbe. Wenn sie sich dem Ende des Wettlaufes nähern und dem Empfang des Siegespreises, dann greifen sie um so mehr aus. Darum sagt er: „Jetzt ist unsere Rettung näher als damals, da wir gläubig wurden.“
V. 12: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahet heran.“
— Wenn jene zu Ende geht, dann ist dieser nahegerückt. Lasset uns darum Werke des Tages vollbringen, nicht solche der Nacht! Das geschieht ja auch so im täglichen Leben. Wenn wir sehen, daß die Nacht ins Morgengrauen übergeht und wenn wir das Zwitschern der Schwalbe vernehmen, dann wecken wir ein jeder seinen Nachbar auf, obgleich es eigentlich noch Nacht ist. Wenn diese aber vollends geschwunden ist, dann sprechen wir zueinander, indem wir zur Arbeit drängen: „Es ist Tag geworden.“ Wir tun dann alles, was der Tag verlangt: wir kleiden uns an, verscheuchen die Traumbilder, reiben uns den Schlaf aus den Augen, damit uns der Tag zur Arbeit bereit finde und wir nicht erst aufstehen und mit der Arbeit beginnen, wenn die Sonne schon hoch am Himmel steht. Was wir da leiblicher Weise tun, das wollen wir nun geistiger Weise vollbringen. Wir wollen die falschen Vorstellungen aufgeben, die Traumbilder des gegenwärtigen Lebens verscheuchen, den tiefen Schlaf abbrechen und das Kleid der Tugend anlegen. Das alles meint der Apostel, wenn er spricht:
„Lasset uns also ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen des Lichtes!“
Auch an die Front und zum Kampf ruft uns näm-S. d179lich der Tag. Erschrick aber nicht, wenn du von Front und von Waffen hörst! Bei der leiblichen Waffenrüstung ist es etwas Schweres und Lästiges, sie anzulegen, hier aber ist es angenehm und begehrenswert; denn es sind Waffen des Lichtes. Darum lassen sie dich leuchtender erscheinen als den Sonnenstrahl, sie geben einen hellen Schimmer von sich und gewähren dir Sicherheit; es sind ja Waffen. Sie verleihen dir Glanz; es sind ja Waffen des Lichtes. Ist es nun etwa nicht nötig, zu kämpfen? O ja, nötig ist es, aber es ist nicht schwierig und mühevoll. Denn nicht eigentlich ein Kampf ist es, sondern ein Reigen und ein Fest. Das ist so die Natur dieser Waffen, das ist die Macht dieses Feldherrn. Strahlend wie ein Bräutigam aus dem Brautgemache tritt, so der, welcher mit diesen Waffen angetan ist. Er ist zugleich Kriegsmann und Bräutigam. — Nachdem der Apostel gesagt hat: „Der Tag naht heran“, läßt er diesen nicht bloß als herannahend erscheinen, sondern als schon angebrochen; er sagt nämlich:
V. 13: „Wie am Tage lasset uns ehrbar wandeln!“
Der Tag ist schon da. Was auf die meisten Menschen bei Ermahnungen am stärksten wirkt, das wendet der Apostel auch seinen Zuhörern gegenüber als Zugmittel an, den Ehrenpunkt. Er sagt auch nicht: „wandelt“, sondern: „laßt uns wandeln“; auf diese Weise nimmt er seiner Mahnung das Erbitternde und macht den Tadel leicht erträglich.
„Nicht in Schmausereien und Trinkgelagen.“
Damit will der Apostel nicht das Trinken verbieten, sondern das Unmäßige dabei; nicht den Genuß des Weines überhaupt, sondern einen solchen bis zur Berauschung. Mit derselben Beschränkung meint er auch das folgende, wenn er sagt:
„Nicht in Buhlereien und Schlemmereien.“
Auch da untersagt er nicht den Verkehr mit den Weibern überhaupt, sondern das Huren mit ihnen.
„Nicht in Streitereien und Neidereien.“
Der Apostel will die Gluten der Leidenschaften ablöschen, nämlich die Begierde (nach sinnlichem Genuß) S. d180 und den Zorn. Darum will er nicht bloß sie selbst, sondern auch ihre Quellen beseitigen.
