3.
Dann aber fügt er bei, um auszudrücken, daß er nicht eine Liebe im gewöhnlichen Sinne des Wortes verlange: „im Sinne des Messias Jesus“. Das tut er überall da, wo es auch eine andere Liebe gibt. Und was ist der Gewinn von dieser Einstimmigkeit?
V. 6: „Auf daß ihr einmütig und mit einem Munde preisen möget den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus.“
Der Apostel sagt nicht bloß: „mit einem Munde“, sondern er will, daß dies auch in Seelengemeinschaft geschehe. Siehst du, wie er alles zu einem Leib vereinigen möchte und wie er seine Rede wieder in einem Lobpreis Gottes ausklingen läßt? Dadurch stimmt er auch am meisten zur Eintracht und Einstimmigkeit. — Dann nimmt der Apostel wieder den Ton der Ermahnung auf, indem er spricht:
S. d230 V. 7: „Darum nehmet einander auf, wie auch Christus uns aufgenommen hat zur Verherrlichung Gottes.“
Wieder ein Beispiel von oben und ein unsagbarer Gewinn; denn durch unser einträchtiges Zusammenwirken wird Gott am meisten verherrlicht. Wenn du daher auch, gekränkt von deinem Bruder, mit ihm entzweit bist, so bedenke, daß du Gott, deinen Herrn, verherrlichst, wenn du deinen Zorn aufgibst; versöhne dich also deswegen mit ihm, wenn schon nicht deinem Bruder zulieb, ja in erster Linie deswegen! Auch Christus kehrt die Reihenfolge um, wenn er in seinem Gebet zum Vater spricht: „Daran werden alle erkennen, daß du mich gesandt hast, wenn sie eins sind“ 1.
Folgen wir also (der Mahnung des Apostels) und schließen wir uns eng zusammen! An dieser Stelle gilt seine Mahnung nicht mehr bloß den Schwachen, sondern allen. Will jemand sich von dir trennen, so trenne doch du dich nicht von ihm und laß nicht jenes kalte Wort von dir vernehmen: „Wenn mich jemand liebt, so liebe ich ihn auch. Wenn mich mein rechtes Auge nicht liebt, so reiße ich es aus.“ Das sind teuflische Reden und der Engherzigkeit von Zöllnern und Heiden entsprechend. Du aber bist zu einem vollkommeneren Wandel berufen, bist eingeschrieben für den Himmel und höheren Gesetzen unterworfen. Sprich also nicht so, sondern wenn dich einer nicht lieben will, dann erweise ihm gerade recht deine Liebe, damit du ihn an dich ziehst. Denn er ist ja ein Glied von dir. Wenn aber ein Glied gewaltsam vom Körper losgerissen wird, so tun wir alles Mögliche, um es wieder mit ihm zu vereinigen, und wir wenden ihm dann viel größere Fürsorge zu. Auch wird dein Lohn größer sein, wenn du jemanden an dich ziehst, der dich nicht lieben will. Denn wenn Christus befiehlt, solche zum Mahle zu laden, die uns nicht dafür wiedervergelten können, damit die Wiedervergeltung für uns eine um so größere sei, so müssen wir dies um so mehr rücksichtlich der Liebe so halten. Denn wenn dich einer liebt, der von dir geliebt wird, so S. d321 leistet er selbst die Wiedervergeltung; wenn dich aber einer, den du liebst, nicht liebt, so macht er dir Gott an seiner Stelle zum Schuldner. Außerdem, wenn dich einer liebt, so bedarf dieser nicht sonderlich deiner Fürsorge; wenn er dich aber nicht liebt, dann hat er besondere Behandlung deinerseits nötig. Mache also nicht den Grund, warum du um ihn besorgt sein sollst, zur Entschuldigung dafür, daß du ihn vernachlässigst, und sag nicht: weil er krank ist, brauche ich mich um ihn nicht zu kümmern. Eine Krankheit ist ja in der Tat die Erkaltung der Liebe; du aber sollst das Erkaltete erwärmen. — Was aber, fragst du, wenn er sich nicht erwärmen läßt? — Setze deine Bemühungen fort! — Wenn er sich aber immer mehr entfremdet? — So verschafft er dir wieder größere Vergeltung und läßt dich noch mehr als Nachfolger Christi erscheinen. Denn wenn schon die gegenseitige Liebe ein Erkennungszeichen seiner Jünger ist — „daran sollen alle erkennen“, heißt es, „daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebet“ 2 —, dann bedenke, was erst die Liebe zu einem solchen, der dich haßt, für eine sein wird! Auch dein Herr liebt ja die, welche ihn hassen, und ruft sie zu sich. Ja, je schwächer sie sind, desto größere Sorge trägt er um sie und ruft: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken“. 3 Zöllner und Sünder würdigt er seiner Tischgesellschaft. Je größere Unehre ihm das Volk der Juden antat, desto mehr Ehre und Rücksicht erwies er ihm. Befleiße dich derselben Handlungsweise! Denn sie ist nichts Kleines; ohne sie kann nicht einmal ein Märtyrer Gott gefallen, wie Paulus sagt. Sprich also nicht: „Ich werde gehaßt, darum mag ich nicht lieben! Gerade deswegen solltest du um so mehr lieben. Übrigens ist wohl nicht gut möglich, daß man für Liebe immer nur Haß fände. Wäre einer auch ein wildes Tier, so liebt er doch die, welche ihn lieben. „Das tun ja“, heißt es, „auch die Heiden und Zöllner“ 4. Wenn nun aber ein jeder schon die liebt, die ihn lieben, wer wird S. d232 nicht die lieben, die ihn lieben auch auf Haß hin? Eine solche Handlungsweise trage zur Schau und höre nicht auf zu versichern: „Du magst mich noch so sehr hassen, so werde ich doch nicht aufhören, dich zu lieben.“ So wirst du jede Eifersucht ersticken und jede Kälte verscheuchen. Diese Krankheit kommt nämlich entweder von geistiger Fieberhitze oder Fieberkälte. Beide vermag aber die Kraft der Liebe durch ihre Wärme auf das rechte Maß zu bringen. Siehst du nicht, wie solche, die in unkeuscher Liebe entbrannt sind, von jenen Dirnen es erdulden, daß sie geohrfeigt, angespuckt, ausgeschimpft und auf tausenderlei andere Weise mißhandelt werden? Und was ist die Folge? Bringt sie diese schimpfliche Behandlung etwa von ihrer Liebe ab? Keineswegs, sondern sie entflammt sie nur noch mehr. Und doch sind diese Weiber, abgesehen davon, daß sie Huren sind, auch von gemeiner und niedriger Herkunft, während ihre Liebhaber, die solches erdulden, oft berühmte Ahnen aufzuzählen haben und in mancher andern Beziehung hervorstechen. Nichtsdestoweniger bringt sie das nicht ab und scheidet sie nicht von ihrer Geliebten.