5.
Ein so großer Gnadenerweis, wie der ist, daß wir gerechtfertigt worden sind, erfordert aber auch einen Wandel darnach. Zeigen wir einen Eifer, wie er eines solchen Geschenkes würdig ist! Wir bekunden ihn aber, S. b115 wenn wir die Mutter aller Tugenden, die Liebe, mit allem Eifer wahren. Die Liebe besteht nicht in leeren Worten, nicht in freundlichen Grüßen allein, sondern sie erweist sich darin, daß man durch Werke hervorleuchtet wie: die Armut lindern, den Kranken mitfühlend Dienste leisten, von Gefahren befreien, Bedrängten beistehen, weinen mit den Weinenden, sich freuen mit den Fröhlichen. Auch das letztere ist ein Liebeserweis. Man könnte meinen, es sei dies etwas Kleines, dieses Sichfreuen mit den Fröhlichen; und doch ist es eigentlich etwas Großes und erfordert die Einsicht eines Weisen; und wir werden viele finden, die Beschwerlicheres vollbringen, doch in diesem Punkte versagen. Viele weinen mit den Weinenden, sie freuen sich aber nicht mit den Fröhlichen, sondern vergießen Tränen, wenn andere sich freuen. Das ist aber Mißgunst und Neid. Es ist darum kein geringes gutes Werk, sich zu freuen, wenn sich der Mitbruder freut, sondern es ist größere Tugend als das erstere; ja, es ist nicht allein mehr als das Weinen mit den Weinenden, sondern sogar mehr als das Beistehen in Gefahren. Schon viele nämlich, die mit andern, die in Gefahr waren, sich selbst Gefahren unterzogen, empfanden Schmerz darüber, daß andere in Ehre und Ansehen standen. Das heißt, sich von Mißgunst beherrschen lassen. Und doch kostet jenes Mühe und Anstrengung, dieses aber nur einen inneren Akt des Willens. Trotzdem bringen viele, die jenes Schwerere vermögen, dieses Leichtere nicht zustande, sondern sie grämen sich ab und möchten vergehen, wenn sie mitansehen müssen, daß andere in Ehren stehen, wenn sie Zeuge sein müssen, wie der Kirche genützt wird durch Predigt oder auf irgendeine andere Weise 1. Kann es wohl etwas Verwerflicheres geben? Ein solcher kämpft übrigens nicht bloß gegen seinen Bruder an, sondern auch gegen den Willen S. b116 Gottes. Bedenke das daher und mache dieser (Seelen-) Krankheit ein Ende! Tust du es schon nicht aus Wohlwollen gegen deinen Nächsten, so mache dich doch frei von tausend Übeln aus Wohlwollen gegen dich selbst! Was bringst du Krieg in deine Gedankenwelt? Was erfüllst du mit Aufruhr die Seele? Was entfesselst du einen solchen Sturm in ihr? Was bringst du alles drunter und drüber? Wie kannst du in solcher Verfassung um Nachlaß der Sünden bitten? Denn wenn Gott solchen nicht die Sünden vergibt, welche die gegen sie begangenen nicht nachsehen, wie wird er denen Verzeihung gewähren, die andern Unrecht zuzufügen trachten, die ihnen selbst keines angetan haben? Das ist ja doch ein Beweis äußerster Bosheit. Solche führen in Gemeinschaft mit dem Teufel Krieg gegen die Kirche. Ja sogar noch viel schlimmer ist so etwas; denn gegen den Teufel kann man auf der Wache sein; solche aber tragen die Maske der Freundschaft und legen heimlich Feuer an. Freilich stürzen sie sich dabei zuerst selbst hinein; sie leiden an einer Krankheit, die nicht nur kein Mitleid erregen kann, sondern eher zum Lachen herausfordert. Sag’ mir, warum weinst du bloß und zitterst und bist niedergeschlagen? Was ist Schreckliches geschehen? daß deinem Mitbruder Auszeichnung und Ehre und Ruhm zuteil wird? Solltest du dich da nicht bekränzen, dich freuen und Gott preisen, daß ein Glied von dir ausgezeichnet und geehrt wird? Aber nein, du grämst dich, daß Gott geehrt wird. Siehst du, wohin dein Krieg zielt? Aber nicht daß Gott, sagst du, sondern daß dein Bruder geehrt wird. Aber durch diesen geht ja die Ehre weiter bis auf Gott hinauf und folglich — auch der durch dich entfachte Krieg. — Aber nein, sagst du, das macht mich nicht betrübt, sondern ich möchte, daß Gott durch mich geehrt werde. Dann freue dich, wenn dein Bruder Ruhm genießt, und Gott wird durch dich (wiederum) geehrt, wenn nämlich alle sagen: Gelobt sei Gott, der solche Diener hat, die ganz frei sind von aller Mißgunst und sich gegenseitig freuen über das ihnen zuteil gewordene Gute! Doch was rede ich von Bruder? Wenn er auch dein Partei- und persönlicher Feind wäre, und Gott würde durch ihn geehrt, S. b117 so müßtest du ihn dir eben deswegen zum Freunde machen. Du aber machst dir den Freund zum Feind weil Gott geehrt wird durch die Ehrung jenes. Wenn jemand deinen Körper von einer Krankheit geheilt hätte, der vorher dein Feind war, du würdest ihn hernach unter deine besten Freunde rechnen. Dagegen erachtest du einen, der früher dein Freund war als deinen Feind, weil er den Leib Christi, das ist die Kirche, verherrlicht? Wie könntest du auf eine andere Weise so deutlich zum Ausdruck bringen, daß dein Krieg Christus gilt? Darum wenn auch einer Wunder wirkte, wenn er auch ein jungfräuliches Leben führte, wenn er fastete, wenn er auf der bloßen Erde schliefe! und wenn er durch solche Tugend bis an die Engel hinaufreichte, so ist er doch, wenn er mit diesem Laster behaftet ist, ein größerer Verbrecher als alle und ein ärgerer Gesetzesverletzer als ein Ehebrecher, ein Hurer, ein Dieb oder ein Ehrabschneider.
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Manche meinen, daß hier auf das Verhalten des Severian von Gabala und des Theophilus von Alexandrien Chrysostomus gegenüber angespielt sei. Da dies jedoch nicht sicher aus der Stelle hervorgeht, kann dieselbe nicht als Beweis dafür angeführt werden, daß die Homilien über den Römerbrief zu Konstantinopel gehalten worden seien. ↩