2.
Beachte nur, wie der Apostel überall zwei Dinge nebeneinander stellt: das, was Christus getan hat, und das, was wir tun müssen! Das, was Christus getan hat, ist mannigfaltig und vielerlei und verschiedenartig. Denn er ist für uns gestorben, er hat uns mit Gott versöhnt, er hat uns Zutritt zu ihm verschafft und uns unaussprechliche Gnade geschenkt. Wir aber brauchen nur den Glauben dazu zu tun. Darum sagt er:
„Im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen.
— Was für eine Gnade ist da wohl gemeint? Die Gnade, der Gotteserkenntnis gewürdigt, vom Irrtum S. b158 befreit worden zu sein, die Wahrheit zu erkennen und aller jener Güter teilhaftig geworden zu sein, die mit der Taufe verbunden sind. Dazu hat er uns Zutritt verschafft, daß wir alle diese Geschenke bekommen — nicht bloß Vergebung der Sünden und Befreiung davon, sondern auch den Genuß von tausenderlei köstlichen Dingen. Doch er blieb dabei nicht stehen, sondern verhieß uns noch andere unaussprechliche, alle Vorstellung und alle Begriffe übersteigende Güter. Darum macht der Apostel beide namhaft; mit dem Wort „die Gnade“ bezeichnet er die gegenwärtigen, die wir schon empfangen haben; mit den Worten
„wir rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“
weist er hin auf alles das, was uns (im Jenseits) bevorsteht. — Gut gewählt ist auch der Ausdruck
„in der wir stehen“.
Das ist nämlich der Gnade Gottes eigen: sie hat kein Ende und kennt keine Grenzen, sondern strebt immer höher, was bei menschlichen Dingen nicht der Fall ist. Ich nehme an, jemand hat eine herrschende Stellung und Ruhm und Macht dazu erlangt, so bleibt er darin doch nicht beständig „stehen“, sondern er fällt bald um. Wenn sie ihm auch kein Mensch entreißt, so doch ganz gewiß der Tod, wenn er einmal kommt. Bei den Dingen dagegen, die uns Gott gibt, ist es nicht so. Weder ein Mensch, noch die Zeit, noch die Umstände, selbst nicht der Teufel, auch nicht der Tod, wenn er kommt, kann sie uns nehmen; im Gegenteil, wenn wir sterben, dann halten wir sie erst recht fest und genießen sie immer mehr. Darum, wenn du an die zukünftigen Güter nicht recht glauben willst, denk an die gegenwärtigen, die du bereits empfangen hast, und glaub’ auch an jene. Deswegen sagt der Apostel: „Und wir rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“, damit du daraus ersiehst, was für eine Gesinnung der Gläubige haben müsse. Es muß sich sicher fühlen nicht allen des ihm bereits Gegebenen, sondern auch des Zukünftigen gerade so, als ob es ihm gegeben wäre. Man rühmt sich dessen, was man schon im Besitze hat. Weil nun die Hoffnung auf das Zukünftige so fest und bestimmt sein S. b159 soll, wie wenn es sich um Gegebenes handelte, darum sagt er, daß wir uns des Zukünftigen rühmen; er nennt es „Herrlichkeit Gottes“ . Wenn es nämlich zur Herrlichkeit Gottes beiträgt, dann kommt es gewiß, wenn nicht unseretwegen, so Gottes wegen. — Doch was sag’ ich, fährt er fort, daß bloß die zukünftigen Güter des Rühmens wert seien? Sogar die gegenwärtigen Übel können Gegenstand des Rühmens sein und uns veranlassen, auf sie stolz zu sein. Darum fährt er fort:
V. 3: „Aber nicht allein dies, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale.“
Erwäge, wie groß die zukünftigen Güter sein müssen, wenn wir sogar stolz sein dürfen auf das scheinbar Trübselige daran! So herrlich ist die Gabe Gottes und so frei von jedem unangenehmen Beigeschmack! Im gewöhnlichen Lauf der Dinge haben Kämpfe ihre Mühe, ihre Qual und ihr Ungemach; erst Siegeskronen und Siegespreise bringen Wonne. Hier ist es aber nicht so, sondern die Kämpfe sind nicht weniger wonnereich als die Siegespreise. Weil nämlich damals die Kämpfe häufig waren, das himmlische Reich aber erst erhofft wurde, die Leiden greifbar gegenwärtig und die Freuden in ferner Sicht waren, und weil dies schwächeren Naturen den Mut benehmen konnte, darum verteilt der Apostel an sie schon vor der großen Krönung am Ende einzelne Siegespreise, indem er sagt, man müsse sich auch der Trübsale rühmen. Er sagt auch nicht: „Ihr müßt euch rühmen“, sondern: „Wir rühmen uns.“ Er sagt „wir“ und führt damit sich selbst als Beispiel zur Aufmunterung vor. Weil aber dieser Ausspruch seltsam und widersinnig scheinen konnte, daß nämlich jemand, der mit dem Hunger kämpft, in Banden liegt, gefoltert, mißhandelt und beschimpft wird, sich noch rühmen soll, darum beweist er ihn. Noch mehr Grund zum Rühmen, sagt er, biete nicht bloß die Zukunft, sondern schon die Gegenwart; denn die Trübsale seien an sich etwas Gutes. Warum? Weil sie zur Standhaftigkeit erziehen. Nach den Worten: „Wir rühmen uns der Trübsale, gibt er gleich den Grund dafür an, indem er sagt: S. b160 „Weil wir wissen, daß Trübsal Standhaftigkeit bewirkt.“
— Beachte da wieder die Gewandtheit des Paulus, wie er es versteht, die Rede auf das Gegenteil hinüberzulenken. Die Trübsale waren es besonders, die in den damaligen Christen Mißtrauen betreffs der zukünftigen Güter wachrufen und sie zur Verzagtheit bringen konnten; nun sagt der Apostel, gerade wegen der Trübsale müsse man Mut fassen und gerade ihretwegen dürfe man an der Zukunft nicht verzweifeln. „Denn die Trübsal bewirkt Standhaftigkeit“, sagt er, und dann:
V. 4: „Die Geduld Bewährung, Bewährung aber Hoffnung“,
V. 5: „die Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden.“
— Die Trübsale haben nicht bloß nichts in sich, was die Hoffnung nehmen, sondern gar vieles, was sie beleben kann. Die schönste Frucht, welche die Trübsal schon im Diesseits bringt, ist die Standhaftigkeit, und daß sie den, der auf die Probe gestellt worden ist, bewährt erscheinen läßt. Sie hat auch ihr Gutes in betreff der Zukunft im Jenseits; sie läßt nämlich die Hoffnung in uns aufleben. Denn nichts ist mehr geeignet, die Hoffnung zu beleben, als ein gutes Gewissen.