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Darum befiehlt uns Christus auch, sogar unsere Seele, die uns doch das Teuerste von allem ist, der Liebe zu ihm nachzusetzen; er will eben in höchstem Maße von uns geliebt werden. So machen auch wir es; wenn wir jemandem nicht sonderlich zugeneigt sind, so liegt uns nicht viel an seiner Liebe, sei es auch eine mächtige und angesehene Persönlichkeit. Lieben wir aber jemanden innig und echt, dann mag der Geliebte noch so unansehnlich und armselig sein, wir rechnen uns seine Gegenliebe zur größten Ehre an. Darum nannte er es Ehre, nicht bloß von uns geliebt zu werden, sondern auch für uns jene Schmach zu erdulden. Eine Ehre war das doch nur mit Rücksicht auf die Liebe. Was aber wir etwa für ihn erdulden, das heißt und ist Ehre, nicht nur mit Rücksicht auf die Liebe, sondern auch wegen der Erhabenheit und Würde dessen, der geliebt wird. Wie Siegeskränzen so laßt uns den größ- S. b186 ten Gefahren entgegeneilen! Laßt uns weder Armut noch Krankheit noch Beschimpfung noch Verleumdung noch selbst den Tod für etwas Schweres und Hartes erachten, wenn wir es für ihn ertragen! Sind wir weise, so können wir aus allem dem den größten Gewinn ziehen; andererseits wird uns auch das Gegenteil nichts nützen, wenn wir nicht weise sind. Sieh an! Es behandelt dich jemand verächtlich und feindselig? Wohlan, er mahnt dich, wachsam zu sein und gibt dir Gelegenheit, Gott ähnlich zu werden. Denn wenn du den liebst, der dir Nachstellungen bereitet, so bist du dem ähnlich, „der die Sonne aufgehen läßt über Böse und Gute“ 1. — Ein anderer bringt dich um dein Vermögen? Wenn du es edelmütig erträgst, so empfängst du denselben Lohn wie die, welche ihre Habe an die Armen verteilten. „Auch den Raub eurer Güter“, heißt es, „ertrugt ihr mit Freude im Bewußtsein, daß ihr ein besseres und bleibendes Gut im Himmel habt“ 2. — Es hat dich jemand verleumdet und geschmäht? Ob es wahr oder falsch gewesen ist (was er gesagt hat), er hat dir den schönsten Kranz geflochten, wenn, du die Schmähung mit Geduld erträgst. War er ein Verleumder, so verschafft er uns großen Lohn; denn „freuet euch und frohlocket“, heißt es, „wenn man alles Böse wider euch fälschlich redet; denn euer Lohn ist groß im Himmel“ 3. Hat er aber die Wahrheit gesprochen, dann bringt er uns wieder großen Nutzen, wofern wir nur die Nachrede geduldig ertragen. So hat auch der Pharisäer (im Evangelium) vom Zöllner mit Wahrheit Schlechtes ausgesagt; gleichwohl hat er dadurch aus einem Zöllner einen Gerechten gemacht. Was braucht man übrigens einzelne Fälle anzuführen? Es genügt, die Kämpfe durchzugehen, um alles das bis ins kleinste bestätigt zu finden. In demselben Sinne ist es, wenn Paulus sagt: „Wenn Gott für uns ist, wer ist wider uns?“ 4 — Wie wir einerseits, wenn wir guten Willen haben, auch aus Widrigem S. b187 Nutzen ziehen können, so werden wir, wenn wir träge sind, nicht besser werden trotz der günstigen Umstände. Was nützte dem Judas, sage mir, der Umgang mit Jesus? Oder den Juden das Gesetz? Oder dem Adam das Paradies? Oder den Juden in der Wüste Moses? Darum müssen wir alles andere fahren lassen und nur auf eines unser Augenmerk richten: wie wir unser Leben recht einrichten. Wenn wir das tun, dann kann uns selbst der Teufel nichts anhaben, sondern er wird uns nur um so mehr nützen, indem er uns nämlich zur Wachsamkeit veranlaßt. So rüttelte Paulus auch die Ephemer dadurch zur Wachsamkeit auf, daß er ihnen die wilde Angriffslust jenes Feindes schilderte. Wir aber liegen da und schnarchen, obzwar wir es doch mit einem so schlimmen Feind zu tun haben. Wenn wir eine Schlange neben unserem Bette versteckt wußten, würden wir uns alle Mühe geben, sie unschädlich zu machen. Der Teufel aber hat seinen Schlupfwinkel gar in unserer Seele, und wir vermeinen in keiner Gefahr zu schweben, sondern legen uns zum Schlafen hin. Schuld daran ist, daß wir ihn mit unseren leiblichen Augen nicht sehen. Und doch sollten wir gerade deswegen um so wachsamer sein; denn vor einem sichtbaren Feinde kann man sich leicht hüten, dem unsichtbaren dagegen kann man nicht leicht entrinnen, wenn man nicht gut gewappnet ist. Noch dazu versteht es dieser Feind, nicht ins Gesicht seine Angriffe zu machen — da wäre er ja schnell gefangen —, sondern oft spritzt er sein tödliches Gift unter dem Anscheine der Freundschaft ein. So veranlaßte er das Weib des Job, daß sie unter der Maske der Liebe jenen schlimmen Rat erteilte. So stellte er sich in der Unterredung mit Adam besorgt und gönnerhaft, indem er sprach: „Die Augen werden euch aufgehen an dem Tage, an welchem ihr essen werdet von dem Baume“ 5. So verleitete er auch den Japhte unter dem Scheine der Frömmigkeit, seine Tochter zu töten und jenes ungesetzliche Opfer zu bringen. — Siehst du da seine listigen Schleichwege? Siehst du seine verschiedenartig verkappte Art, uns anzugreifen? S. b188 Sei darum auf der Hut und wappne dich allseits mit geistlichen Waffen! Lerne seine Kunstgriffe genau kennen, damit du nicht von ihm gefangen genommen werdest, sondern ihn selbst leicht zum Gefangenen machest. So wurde auch Paulus dadurch seiner Herr, daß er ihn, genau durchschaute. Denn er spricht: „Seine Anschläge sind uns nicht unbekannt“ 6.
So wollen denn auch wir uns Mühe geben, seine Nachstellungen kennen zu lernen und zu fliehen, damit wir den Sieg über ihn davontragen, im gegenwärtigen Leben wie im zukünftigen als Sieger ausgerufen werden und unvergänglicher Güter teilhaftig werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus; ihm sei zugleich mit dem Vater und dem Hl. Geiste Ruhm, Herrlichkeit und Ehre jetzt und allezeit bis in Ewigkeit. Amen. S. b189