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Kap. VI, V. 19—23 u. Kap. VII, V. 1—13.
V. 19: „Menschlich rede ich wegen der Schwachheit eures Fleisches: Wie ihr eure Glieder in den Dienst der Unreinigkeit gestellt habt und der Sündhaftigkeit zur Sündhaftigkeit, so stellt nun eure Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit zur Heiligung.“
Der Apostel hat im vorausgehenden verlangt, wir sollen genau achthaben auf unsern Lebenswandel; er hat geboten, tot zu sein für die Welt, abgestorben der Bosheit und unnachgiebig gegen die Lockungen der Sünde. Er scheint damit etwas Schweres zu verlangen, was die natürlichen Kräfte des Menschen übersteige. Da will er nun zeigen, daß er nichts Übermäßiges fordere, nicht einmal so viel, als man von einem Menschen, der solche Gnadengaben empfangen hat, verlangen sollte, sondern etwas ganz Mäßiges und Leichtes. Den Beweis dafür führt er durch eine Gegenüberstellung. (Vorher) sagt er: „Menschlich rede ich“, als ob er sagen wollte: Nach menschlichem Ermessen, nach dem, was im gewöhnlichen Leben vorkommt. Durch den Ausdruck „menschlich“ will der Apostel das Maßvolle (seiner Forderung) ausdrücken. So sagt er auch an einer anderen Stelle: „Keine Versuchung ist euch angekommen als eine menschliche“ 1, d. h. eine mäßige, kleine. — „Wie ihr eure Glieder in den Dienst der Unreinigkeit gestellt habt und der Sündhaftigkeit zur Sündhaftigkeit, so stellt nun eure Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit zur Heiligung.“ So groß (will er sagen) der Unterschied zwischen den zwei Herren ist, verlange ich (für beide) doch nur das gleiche Maß von Dienst. Ich sollte eigentlich viel mehr fordern, und zwar um so viel mehr, als der Dienst Gottes vornehmer und besser ist als der Dienst der Sünde. Ich verlange aber trotzdem nicht mehr „wegen der Schwachheit“. Er sagt nicht: eures S. b212 Willens, auch nicht: eurer Lust (zum Guten), sondern: „eures Fleisches“, um seine Rede nicht als einen Vorwurf erscheinen zu lassen. Auf der einen Seite „Unreinigkeit“, auf der andern „Heiligung“; auf der einen Seite „Sündhaftigkeit“, auf der andern „Gerechtigkeit“. Und wer ist so elend und unglückselig, will er sagen, daß er für den Dienst Christi nicht mehr Eifer hätte als für den Dienst der Sünde und des Teufels? Höre nur, was folgt, und du wirst klar erkennen, daß wir nicht einmal dieses Wenige aufbringen. So gerade heraus gesagt, wäre dies aber unglaublich erschienen und wäre nicht gut aufgenommen worden; man hätte es nicht gerne hören mögen, daß man Christus nicht so eifrig diene wie dem Teufel. Darum führt er im folgenden den Beweis und macht ihn glaubbar, indem er die Knechtschaft (der Sünde) heranzieht und zeigt, wie sie dieser gedient haben.
V. 20: „Denn als ihr Knechte der Sünde waret, da waret ihr Freie der Gerechtigkeit gegenüber.“
— Der Apostel will damit folgendes sagen: Als ihr in der Bosheit lebtet, in der Gottlosigkeit und den größten Lastern, da lebtet ihr in solchem Gehorsam, daß ihr ganz und gar nichts Gutes tatet. Das bedeutet jenes: „Ihr wäret Freie der Gerechtigkeit gegenüber.“ Es heißt: Ihr wäret ihr nicht Untertan, sondern standet ihr ganz und gar fremd gegenüber. Ihr habt (damals) euer Dienstverhältnis nicht geteilt zwischen der Gerechtigkeit und der Sünde, sondern habt euch der Bosheit ganz ausgeliefert. Darum gebt euch auch jetzt, da ihr auf die Seite der Gerechtigkeit getreten seid, ganz der Tugend hin; tuet ganz und gar nichts Böses, damit ihr wenigstens auf das gleiche Maß kommt. — Es besteht aber nicht bloß ein großer Unterschied zwischen den beides Herren, sondern auch die Dienstbarkeit ihnen gegenüber ist sehr verschieden. Auch diesen Punkt führt der Apostel mit großer Klarheit aus und zeigt, unter welchen Verhältnissen sie damals gedient haben, und unter welchen jetzt. Noch spricht er nicht von dem Schaden, der ihnen aus ihrer Handlungsweise erwachsen ist, sondern vorläufig nur von der Schande. S. b213 V. 21: „Welche Frucht hattet ihr damals von den Dingen, deren ihr euch nun schämt?“
— Die Knechtschaft war derart, daß schon die bloße Erinnerung daran schamrot macht. Wenn nun die bloße Erinnerung beschämt, um so mehr die Tat selbst. Einen zweifachen Gewinn habt ihr demnach jetzt: Ihr seid frei von der Schande und erkennt den Zustand, in dem ihr euch befandet. Früher hattet ihr einen doppelten Schaden: Ihr tatet Schmachwürdiges und wußtet nichts von eurem schmachvollen Zustand; das letztere ist noch schlimmer als das erstere. Und doch verbliebet ihr in der Knechtschaft. Nachdem der Apostel so den Schaden, der seinen Zuhörern aus ihrer damaligen Handlungsweise erwachsen war, von Seiten der Schande nachgewiesen hat, kommt er zur Hauptsache. Was war die Hauptsache?
„Das Ende von jenen Dingen ist der Tod.“
Da nämlich die Schande jemandem nicht gar so schwerwiegend scheinen könnte, kommt er mit etwas in jeder Beziehung Furchtbarem, ich meine den Tod. Und doch sollte wohl das vorher Gesagte schon genügt haben. Denn bedenke nur, welches Übermaß von Übel darin liegt, daß sie, wenngleich bereits von der Strafe befreit, doch noch immer nicht von der Schande frei geworden waren. Welchen Lohn, will er sagen, kannst du für deine damalige Handlungsweise erwarten, wenn du bei der bloßen Erinnerung daran auch jetzt noch, wo du doch von der Strafe befreit und in den Stand der Gnade versetzt bist, dein Antlitz verhüllen und erröten mußt? — Nicht so verhält sich’s mit dem Dienste Gottes.
V. 22: „Nun aber befreit von der Sünde, Diener Gottes geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligung, das Ende aber ist ewiges Leben.“
— Die Frucht jenes (Dienstes der Sünde) ist Schande, auch nach der Befreiung davon; die Frucht dieses Dienstes (Gottes) ist Heiligung; wo aber Heiligung, da ist auch jegliche Zuversicht. Das Ende jenes Dienstes ist Tod, das Ende dieses ewiges Leben. S. b214
1 Kor. 10, 13. ↩
