3.
Ein Gesetz, das widerstreitet, nennt hier der Apostel wieder die Sünde; ein Gesetz, nicht weil sie Ordnung schafft, sondern weil die, welche ihr ergeben sind, ihr strengen Gehorsam leisten. So nennt er auch den Mammon einen Herrn und den Bauch einen Gott, nicht als wäre dies der ihnen zukommende Rang, sondern wegen der großen Unterwürfigkeit derer, die ihnen S. b246 ergeben sind. Ebenso spricht er auch von einem „Gesetz“ der Sünde mit Rücksicht auf die, welche ihr so dienen und sie so ängstlich zu verlieren fürchten, wie die, welche das Gesetz empfangen haben, dieses zu verlieren ängstliche Sorge haben. Die Sünde, will er sagen, ist dem natürlichen Gesetze entgegen; diesen Sinn hat der Ausdruck: „dem Gesetze meiner Vernunft“ Dann bringt der Apostel den Gedanken an eine Schlachtlinie und einen Kampf herein und läßt den ganzen Kampf gegen das natürliche Gesetz geführt werden; denn das mosaische Gesetz kam erst später wie zum Überfluß hinzu. Aber freilich weder das eine noch das andere, weder das erstere durch seine Belehrung noch das letztere durch seine Bestätigung, hat in diesem Kampfe etwas Besonderes geleistet; so groß ist die Herrschaft der Sünde, die Siegerin geblieben ist. Dies drückt Paulus aus und weist zugleich auf die erlittene Niederlage hin, wenn er sagt: „Ich sehe aber ein anderes Gesetz, das dem Gesetze meiner Vernunft widerstreitet und mich zum Gefangenen macht.“ Er sagt nicht: Das mich schlechthin besiegt, sondern: „Das mich zum Gefangenen des Gesetzes der Sünde macht.“ Er sagt nicht: (Zum Gefangenen) des fleischlichen Triebes, auch nicht: Der Natur des Fleisches, sondern: „Des Gesetzes der Sünde“, d. h. der unbeschränkten Herrschaft, der Gewalt. Was heißt das folgende:
„Das in meinen Gliedern ist“?
Was hat das für einen Sinn? Es stellt nicht die Gleichung Glieder — Sünde auf, sondern zieht vielmehr einen Strich zwischen beiden. Etwas anderes ist ja das, was in etwas anderem ist, und das, worin es ist. Wie das Verbot nicht schlecht ist, weil durch dasselbe die Sünde Anlaß bekommen hat, so ist es auch die Natur des Fleisches nicht, wenn auch die Sünde mittelst desselben den Kampf gegen uns führt. Sonst müßte ja auch die Seele schlecht sein, um so mehr, da sie bei unserem tun die Herrscherrolle innehat. Und doch ist dem nicht so, nein, nicht so. Wenn ein räuberischer Tyrann ein prächtiges Haus, einen königlichen Palast einnimmt, so erwächst daraus dem Haus kein Vorwurf, sondern S. b247 die ganze Schuld trifft die, welche den Raub hinterlistig in die Wege geleitet haben. Aber die Feinde der Wahrheit sind neben ihrer Gottlosigkeit auch in Torheit verbohrt und sehen das nicht ein. Sie erheben ihre Anklagen nicht allein gegen das Fleisch, sondern lästern auch das Gesetz. Und doch, wenn das Fleisch schlecht ist, ist das Gesetz gut; es widerstreitet ihm ja und ist sein Gegner. Ist aber das Gesetz nicht gut, dann ist das Fleisch gut; denn nach ihrer eigenen Lehre liegt das Gesetz mit dem Fleische im Kampfe und führt Krieg mit ihm. Wie können sie also behaupten, daß beide des Teufels seien, da sie doch selbst lehren, daß sie einander entgegen sind? Siehst du, welche Torheit neben der Gottlosigkeit? Aber das ist nicht die Lehre der Kirche. Diese verdammt nur die Sünde und lehrt, daß beide Gesetze von Gott gegeben sind, das mosaische wie das natürliche Gesetz, und daß sie beide der Sünde feind sind, nicht dem Fleische; das Fleisch sei nicht Sünde, sondern Gottes Werk und könne uns zur Tugend recht behilflich sein, wenn wir wachsam sind.
V. 24: „Ich unglückseliger Mensch! Wer wird mich befreien von dem Leibe dieses Todes?“
Siehst du, wie groß die Herrschaft der Sünde ist, da sie den Geist überwindet, wenn er auch mit dem Gesetze einverstanden ist? Niemand kann sagen, heißt das, daß die Sünde mich in ihre Gewalt bekommt, weil ich das Gesetz hasse und mich davon wegwende; denn ich bin ja einverstanden mit ihm, pflichte ihm bei und nehme meine Zuflucht zu ihm; und doch ist es nicht imstande, auch nur den zu retten, der zu ihm seine Zuflucht nimmt; dagegen hat Christus auch den gerettet, der von ihm weggeflohen ist. — Siehst du daraus, wie groß der Vorrang der Gnade ist? Aber der Apostel drückt sich nicht so aus; er seufzt bloß und klagt laut auf wie jemand, der keinen Helfer hat; gerade vermittelst dieser verzweifelten Lage bringt er die Macht Christi zur Anschauung, wenn er sagt: „Ich unglückseliger Mensch! Wer wird mich befreien von dem Leibe dieses Todes?“ — Das Gesetz vermochte es nicht, das Gewissen war nicht dazu imstande, obwohl ich das Gute billigte, ja S. b248 nicht allein billigte, sondern gegen sein Widerspiel ankämpfte; denn durch den Ausdruck „welches widerstreitet“ gibt er zu verstehen, daß auch er ihm Widerstand entgegensetzte. — Woher soll nun die Hoffnung auf Rettung kommen?
V. 25: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn.“
— Siehst du, wie der Apostel die Notwendigkeit, daß die Gnade erscheine, ins Licht setzt und daß ihr Erscheinen ein gemeinsames Werk von Vater und Sohn ist? Wenn er nämlich dem Vater dankt, so ist doch auch der Sohn die Ursache dieses Dankes. Wenn du den Apostel sagen hörst: „Wer wird mich befreien von dem Leibe dieses Todes“, so meine nicht, daß er damit das Fleisch verklage. Er sagt ja nicht: „Leib der Sünde“, sondern: „Leib des Todes“, d, h. der sterbliche Leib, der dem Tode verfallen ist, ihn aber nicht erzeugt. Das ist nicht ein Beweis dafür, daß er seiner Natur nach böse sei, sondern nur, daß er eine Schädigung erfahren habe. So heißt es auch von jemandem, der von den Barbaren gefangen worden ist, er sei bei den Barbaren, nicht weil er ein Barbar ist, sondern weil er von ihnen festgehalten wird. Ebenso wird auch der Leib „des Todes“ genannt, weil er unter seiner Gewalt festgehalten wird, nicht weil er ihn hervorgebracht hat. Der Apostel will darum nicht vom Leibe schlechthin befreit werden, sondern von dem sterblichen Leibe; damit deutet er an, wie ich schon öfter gesagt habe, daß der Leib den Leidenschaften unterworfen und in die Gewalt der Sünde geraten sei.