III.
11. Wenn ich nun die Bedeutung des Lautes nicht kenne, werde ich dem Redenden ein Fremdling (Barbar) sein.
Er will sagen: Glaubet nicht, daß Dieses bloß bei uns der Fall sei; man kann Dieß allerwärts sehen. Darum sage ich Dieses, nicht um den Laut zu verachten, sondern um darzuthun, daß er mir Nichts nütze, wenn ich seine Bedeutung nicht kenne. Damit aber die Beschuldigung nicht als eine harte erscheine, so vertheilt er sie gleichmäßig und sagt: „Jener ist mir ein Barbar und ich ihm;“ — nicht wegen der Natur des Lautes, sondern unserer Unkenntniß wegen. Siehst du, wie er sie nach und nach zum verwandten Gegenstand hinführt? Es ist so seine Gewohnheit, die Beispiele von ferner liegenden Dingen zu holen und dann auf Das, was der Sache näher liegt, überzugehen. Denn nachdem er von der Flöte und Zither geredet, woran viel Überflüssiges und Unnützes ist, kommt er auf die nützlichere Drommette und endlich auf die Sprache zu reden. So holte er auch oben, wo er beweisen wollte, daß es den Aposteln erlaubt sei, ihren Unterhalt (von den Gläubigen) zu empfangen, seine Beispiele erst von den Landleuten, den Hirten und Soldaten her, und ging dann erst über zu Dem, was mit seinem Gegenstande näher verwandt war, nämlich zu den Priestern des alten Bundes. Du aber beachte mir wohl, wie er sich überall mühet, die S. 615 Sprachengabe selbst in Schutz zu nehmen, und die Beschuldigung auf Jene zu werfen, die sie empfangen hatten. Denn er sagt nicht: Ich werde ein Fremdling sein, sondern: „Ein Fremdling dem Redenden.“ Und wieder sagt er nicht: Wer redet, ist ein Fremdling, sondern: „Der zu mir spricht, ist ein Fremdling.“ Was ist also zu thun? wird man fragen. Denn man soll nicht nur nicht tadeln, sondern auch ermahnen und lehren, wie er es selber auch thut. Nachdem er sie nämlich zurecht gewiesen und ihnen Vorwürfe gemacht, und die Sache als unnütz dargestellt hatte, gibt er ihnen ferner den Rath:
12. So suchet auch ihr, da ihr Eiferer um die Geistesgaben seid, zur Erbauung der Kirche, daß ihr überreich werdet.
Siehst du, wie er überall dasselbe Ziel vor Augen hat, wie er bei Allem auf Das sieht, was gemeinnützig ist, und was der Kirche frommt? Wie er Dieses als Grundsatz aufstellt? Er sagt nicht: Daß ihr die Gnadengaben empfanget, sondern: „Daß ihr (daran) überreich werdet,“ d. h. daß ihr dieselben in großer Fülle besitzet. Weit entfernt, sie euch zu mißgönnen, wünsche ich vielmehr, daß ihr sie in Fülle besitzet, nur daß ihr dieselben auch zum allgemeinen Besten verwendet. Wie aber Dieses geschehe, sagt er nun, indem er also fortfährt:
13. 14. 15. Und deßhalb bete der in (fremder) Sprache Redende, daß er (es) auslege. Denn wenn ich in (fremder) Sprache bete, so betet mein Geist, mein Verstand aber ist ohne Frucht. Was ist es demnach? Ich werde mit dem Geiste beten, und werde auch mit dem Verstande beten; lobsingen werde ich mit dem Geiste, lobsingen aber auch mit dem Verstande.
Hier zeigt er, daß es in ihrer Macht stehe, dieser Gabe S. 616 theilhaftig zu werden; denn: „der bete,“ sagt er, d. h. er thue das Seinige. Denn wenn du fleissig und recht inbrünstig betest, so wirst du empfangen. Bitte also nicht bloß um die Gabe der Sprache, sondern auch um die der Auslegung, damit du Allen nützest, und die Gabe nicht in dir allein verschließest. „Denn wenn ich in (fremder) Sprache bete, so betet mein Geist, mein Verstand aber ist ohne Frucht.“ Siehst du, wie er hier weiter geht und zeigt, daß ein Solcher nicht nur Andern Nichts nütze, sondern nicht einmal sich selber, da sein Verstand ohne Frucht ist? Denn falls Jemand bloß die persische oder eine andere fremde Sprache redet, aber nicht versteht, was er sagt, so ist er allerdings sich selber und nicht bloß den Andern ein Femdling, da er die Bedeutung des Lautes nicht faßt. Es gab ehemals Viele, die nebst der Sprachengabe auch die des Gebetes befaßen, und sie beteten und redeten die Sprache der Perser oder der Römer; aber ihr Verstand begriff das Gesagte nicht. Darum spricht er: „Wenn ich in (fremder) Sprache bete, so betet mein Geist,“ d. h. die Geistesgabe, die mir gegeben ist, und die meine Zunge bewegt; „mein Verstand aber ist ohne Frucht.“ Was ist nun das Beste und Nützlichste? Und was soll man thun, oder was von Gott erbitten? Daß man mit dem Geiste, d. h. mit der Geistesgabe, aber auch mit dem Verstande bete. Darum sagt er auch: „Ich werde mit dem Geiste beten, und werde auch mit dem Verstande beten; lobsingen werde ich mit dem Geiste, ob singen aber auch mit dem Verstande.“ Dasselbe gibt er auch hier zu verstehen, nämlich, daß die Zunge rede und der Verstand das Gesagte verstehe; denn widrigen Falls würde daraus eine neue Verwirrung entstehen.
16. 17. Denn so du den Segen sprichst mit dem Geiste, wie soll Der, welcher den Platz des S. 617 Laien1 einnimmt, das „Amen“ sagen zu deinem Segensspruche? Da er ja nicht weiß, was du sagst. Denn du danksagst allerdings schön, der Andere aber wird nicht erbaut.
Sieh, wie er hier wieder genau seine Regel befolgt und überall auf die Erbauung der Kirche bedacht ist. Unter dem „Idioten“ versteht er den Laien und zeigt, daß es für ihn sehr nachtheilig sei, wenn er das „Amen“ nicht sprechen kann. Er will damit sagen: Wenn du in einer fremden Sprache einen Segen sprichst und selbst nicht verstehst, noch zu erklären vermagst, was du sprichst, so kann der Laie nicht „Amen“ sagen; denn wofern er nicht jene Schlußworte: „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ hört, sagt er nicht: „Amen“. Um nun aber den Schein zu vermeiden, als verachte er die Sprachengabe, muntert er sie wieder auf, wie er oben gesagt, daß ein solcher geheimnißvolle Dinge spreche, daß er vor Gott rede, daß er sich selbst erbaue, daß er mit dem Geiste bete; und wie er sie dadurch sehr zu ermuntern gesucht hatte, so macht er es auch hier, indem er sagt: „Du danksagest allerdings schön;“ denn du sprichst aus Antrieb des Geistes; der Andere aber steht da, hört nicht und weiß nicht, was du da sagst, und zieht nicht viel Nutzen daraus.
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Τοῦ ἰδιώτου — Idiot ist so viel als ein Unkundiger, Uneingeweihter; hier also Jeder, der von dem Beten in fremder Sprache nichts versteht. ↩