IV.
Daher sagt er nicht etwa bloß einmal: „Er erschien,“ was doch, im Allgemeinen gesprochen, hingereicht hätte, sondern er setzt es zweimal, dreimal, ja fast bei Jedem, der ihn gesehen; denn er sagt: „Er erschien dem Kephas; er erschien mehr als (über) fünfhundert Brüdern; er erschien auch mir.“ Im Evangelium wird das Gegentheil gesagt, nämlich daß er zuerst der Maria erschien. Aber unter den Männern erschien er zuerst Demjenigen, der ihn am sehnlichsten zu sehen gewünscht. Welche versteht er aber hier unter den zwölf Aposteln? Denn Matthias wurde erst nach der Himmelfahrt, und nicht gleich nach der Auferstehung in die Zahl der Apostel aufgenommen. Allein es ist wahrscheinlich, daß Christus auch nach der Auffahrt erschien. Matthias wurde jedenfalls nach der Auffahrt Apostel genannt, und hat den Herrn gesehen. Daher gibt der Apostel auch keine bestimmte Zeit an, sondern zählt einfach und ohne nähere Bestimmung die Erscheinungen auf; denn wahrscheinlich sind deren viele geschehen. Darum sagt auch Johannes: „Dieses war das dritte Mal, daß sich Jesus zeigte. Dann erschien er über fünfhundert Brüdern.“1 Einige nehmen das „über“ (ἐπάνω) als: von oben, vom Himmel herab; denn nicht auf Erden wandelnd, sondern in der Höhe und über ihren Häuptern sei er ihnen erschienen. Denn er wollte nicht bloß seine Auferstehung, sondern auch seine Himmel- S. 671 fahrt beglaubigen. Andere aber behaupten: Jenes „über fünfhundert“ bedeute: „mehr als fünfhundert. Von denen die Mehreren bis jetzt noch am Leben sind.“ Er will damit sagen: Wenn ich schon hier eine alte Begebenheit erzähle, so habe ich doch Zeugen dafür, die noch jetzt leben. „Etliche aber entschlafen sind.“ Er sagt nicht: „welche gestorben,“ sondern: „entschlafen sind,“ durch welchen Ausdruck er wieder die Auferstehung bestätigt. „Hierauf erschien er dem Jakobus.“ Dieser scheint mir der Bruder des Herrn gewesen zu sein; denn von ihm erzählt man auch, daß der Herr selbst ihm die Hände aufgelegt, und ihn zum ersten Bischof von Jerusalem gemacht habe. „Dann den Aposteln allen.“ Denn es gab auch noch andere Apostel, wie die siebenzig Jünger. „Zuletzt unter Allen, gleichsam als der Fehlgeburt, erschien er auch mir.“ Dieser Ausdruck bezeichnet vorzüglich seine Demuth. Denn nicht darum erschien ihm der Herr zuletzt, weil er der Geringste war; sondern obschon er sich zuletzt nennt, erschien ihm der Herr glänzender als Allen, denen er vor ihm erschienen war; auch die fünfhundert Brüder waren nicht besser als Jakobus, daß er ihnen eher erschien, als diesem. — Und warum erschien er nicht Allen zugleich? Um so schon vorhinein den Samen des Glaubens in die Herzen zu streuen; denn Diejenigen, die ihn früher gesehen hatten und vollkommen überzeugt waren, verkündeten es wieder den Andern. Die so verbreitete Kunde spannte gar sehr die Erwartung der Zuhörer in Betreff dieses Wunders, und bahnte den Weg zum Glauben noch vor der Erscheinung (des Herrn). Darum erschien er nicht Allen zugleich, auch nicht gleich Anfangs der Mehrzahl, sondern zuerst einem einzigen, und zwar dem Gläubigsten und dem Fürsten von Allen. Das mußte eine im höchsten Grade gläubige Seele sein, die zuerst dieser Erscheinung gewürdiget worden. Diejenigen aber, die ihn später sahen, nachdem schon Andere ihn gesehen und von Diesen es gehört hatten, wurden durch das Zeugniß derselben nicht wenig bestärkt und zum Glauben vorbereitet; S. 672 Derjenige aber, welcher dieser Erscheinung zuerst gewürdiget worden, bedürfte, wie ich oben bemerkte, eines kräftigen Glaubens, damit er bei diesem ausserordentlichen Anblick nicht in Bestürzung geriethe. Darum erscheint er zuerst dem Petrus; denn es war billig, daß Derjenige, welcher zuerst seine Gottheit bekannt hatte, als der Erste gewürdigt würde, seine Auferstehung zu schauen. Doch nicht aus diesem Grunde allein erschien er ihm zuerst, sondern weil Petrus ihn verläugnet hatte, will er ihn überschwenglich trösten und ihm zeigen, daß er nicht verstoßen sei, und darum würdigt er ihn vor den Andern dieser Erscheinung, und vertraut ihm seine Schafe an. Eben darum erschien er auch zuerst den Frauen. Weil sie das schwächere Geschlecht sind, so erfahren sie wie bei der Geburt, so auch bei der Auferstehung die Gnade (Gottes). Nach dem Petrus erschien er bald Mehreren, bald Wenigern insbesondere, und machte so die Einen zu Zeugen und Lehrern für die Andern, und die Apostel zu glaubwürdigen Verkündern des Evangeliums. „Zuletzt unter Allen, gleichsam als der Fehlgeburt, erschien er auch mir.“ Was haben denn diese demüthigen Worte hier für eine Bedeutung? Was hatte er hiezu für eine Veranlassung? Denn will er sich als glaubwürdig hinstellen und sich unter die Zeugen der Auferstehung zählen, so thut er ja das Gegentheil von Dem, was er anstrebt: denn er müßte sich ja erheben und seine Größe schildern, wie er anderswo thut, wo es die Umstände fordern. Doch redet er auch darum hier so bescheiden, weil er sich nachher, jedoch mit der gebührenden Klugheit, selbst rühmen will. Vorerst redet er ganz demüthig und klagt sich selber an, darauf erst spricht er von seinen Vorzügen, damit seine Rede freundliche Aufnahme finde, wenn er dann von sich Großes und Erhabenes aussagt (wie z. B. daß er mehr als alle Andern gearbeitet habe), und daß seine Rede nicht absichtlich auf diesen Gegenstand hingeleitet, sondern durch zufällige Veranlassung entstanden zu sein scheine. Darum klagt er auch im Briefe an S. 673 Timotheus2 sich zuerst selbst an, weil er dann seiner Vorzüge Erwähnung thun will. Denn wer von Andern Großes erzählt, darf kühn und unverzagt sprechen; wer dagegen genöthigt ist, sich selber zu loben, erröthet und schämt sich, besonders wenn er sich selber zum Zeugen hinstellt. Darum nennt auch dieser heilige Mann sich erst einen Elenden, und alsdann sagt er große Dinge von sich. Dadurch will er das Gehässige des Selbstlobes beseitigen und seine ferneren Worte glaubwürdig machen. Denn dadurch, daß Paulus aufrichtig und ohne Etwas zu verbergen, von sich Schimpfliches aussagt, z. B. daß er die Kirche verfolgt, den Glauben zu stürzen versucht habe, bewirkt er, daß auch das Ruhmvolle als unverdächtig erscheint.