II.
Darum haben wir solche Männer beigegeben und nicht einem allein das Ganze übertragen, der sonst leicht in Verdacht kommen könnte; darum haben wir den Titus geschickt und mit ihm noch einen anderen Bruder. Sodann fährt Paulus in näherer Erklärung der Worte: „Zur Verherrlichung des Herrn und zu eurer Bereitwilligkeit“ also fort:
20. Indem wir diese Vorsorge trafen, damit Niemand uns tadle bei dieser Fülle, die von uns verwaltet wird.
Was wollen denn diese Worte? Sie sind würdig der Tugend des Paulus und geben so recht Zeugniß von seiner väterlichen Fürsorge und herablassenden Güte. Damit Niemand von uns Übles denke, will er sagen, damit Niemand auch nur den geringsten Anlaß zum Tadel gegen uns habe, als veruntreuten wir Etwas von den uns anvertrauten Geldern, darum haben wir solche Männer geschickt, und zwar nicht einen allein, sondern zwei und drei mit einander. Siehst du, wie er sie vor allem Verdachte sicher stellt? Denn er hebt nicht bloß ihre Eigenschaft als Lehrer hervor und daß sie eigens zu diesem Zwecke gewählt wurden, sondern er rühmt auch ihre bewährte Rechtschaffenheit und daß sie gerade in der Absicht gewählt wurden, um keinem Verdachte Raum zu lassen. Auch sagt er nicht: Damit ihr uns nicht tadelt, sondern: „Daß niemand Anderer uns tadle.“ Er traf nun freilich diese Vorsicht um der Korinther willen und deutet Das auch an in den Worten: „Zur Verherrlichung des Herrn und zu eurer Bereitwilligkeit;“ doch will er ihnen nicht nahe treten; darum sagt er mit anderer Wendung: „Indem wir Vorsorge trafen, Dieses zu S. 302 thun, damit Niemand uns tadle.“ Und auch damit nicht zufrieden sucht er sie noch durch das Folgende zu begütigen, wenn er sagt: „Bei dieser Fülle, die von uns verwaltet wird;“ und so weiß er mit Dem, was schwer fällt, sogar noch ein Lob zu verbinden. Jene könnten sich ja sonst betrüben und sagen: Gegen uns also hegst du solchen Verdacht? Wir sind so armselig, daß man uns solche Gedanken zutraut? Dieser Auffassung will Paulus begegnen, indem er sagt: Die Summen, die von euch geschickt werden, sind beträchtlich, und „diese Fülle“, d. h. die Menge der Gelder, wäre hinreichend, den Schlechten Anlaß zur Verdächtigung zu geben, wenn wir nicht diese Vorsorge getroffen hätten.
21. Denn wir sind bedacht auf Gutes, nicht allein vor dem Herrn, sondern auch vor Menschen.
Was kann man wohl mit Paulus vergleichen? Denn er sagt nicht: Wehe und Verderben über Den, der so Etwas argwöhnen wollte! So lange mich mein Gewissen nicht anklagt, mögen Andere von mir denken, was sie wollen! Er läßt sich im Gegentheil desto mehr zu den Korinthern herab, je schwächer sie waren. Denn einem Kranken muß man nicht zürnen, sondern helfen. Nun aber frage ich, welcher Sünde stehen wir so ferne, wie Paulus einem solchen Verdachte? Denn wäre Jemand auch vom bösen Geiste besessen, so hatte er doch gegen jenen Seligen in Bezug auf diesen Dienst keinen Argwohn hegen können. Aber obschon er der Gefahr eines schlimmen Verdachtes so fern steht, so thut er doch fürsorglich Alles, um auch nicht einen Schatten von Berechtigung Denen zu lassen, die irgendwie gerne Schlimmes vermuthet hätten; und er flieht nicht bloß die Möglichkeit der Anklage, sondern auch der Nachrede, ja der geringsten Mißbilligung und grundlosen Vermuthung.
S. 303 22. Wir sandten aber mit ihnen unsern Bruder.
Siehe, noch einen Anderen fügt er bei, und auch Diesem vergißt er nicht das Lob zu spenden, das ihm nach des Apostels eigener Überzeugung und dem Urtheile vieler Anderer gebührt. „Den wir in Vielem,“ sagt er, „oftmals erprobt haben, daß er eifrig ist, jetzt aber als noch viel eifriger.“ Zuerst rühmt er ihn wegen seiner bisherigen Wirksamkeit, und dann erhebt er ihn auch wegen seiner Liebe zu den Korinthern; und was er von Titus sprach, daß er, „weil eifriger, aus freiem Antriebe gegangen sei,“ Das lobt er auch an Diesem, wenn er sagt: „Jetzt aber als noch viel eifriger;“ denn Paulus hat ihnen längst die Keime der Liebe zu den Korinthern in’s Herz gelegt. Und jetzt, nachdem er ihre Tugend gerühmt, spricht er für sie auch ein Wort an die Korinther, indem er sagt:
23. Sei es über Titus, so ist er mein Genosse und mein Mitarbeiter bei euch.
Was heißt denn: „Sei es über Titus“? Soll man Etwas sagen über Titus, meint er, so habe ich Das zu erwähnen, daß er mein Genosse ist und mein Mitarbeiter bei euch. Entweder will nun Paulus Dieses sagen oder ausdrücken: Wenn ihr für Titus Etwas thut, so thut ihr es nicht einem gewöhnlichen Manne, denn er ist mein Genosse. Und während er so den Titus zu rühmen scheint, erhebt er die Korinther selbst; denn er anerkennt, daß sie ihm, dem Apostel, so zugethan seien, daß es bei ihnen Grund genug zur Auszeichnung ist, wenn Einer sich als Genosse des Paulus erweist. Aber gleichwohl genügt ihm Das noch nicht; und er fügt weiters bei: „Mein Mitarbeiter bei euch.“ Nicht einfach „Mitarbeiter“, sondern Theilnehmer an den Arbeiten für euch, an den Bemühungen für euer Wachsthum, für S. 304 euere Zunahme im Guten, Theilnehmer an meiner Liebe, an meiner Sorge für euch; was sie gerade am meisten für Titus einnehmen mußte. — „Seien es unsere Brüder.“ Sei es, daß ihr über die Andern Etwas vernehmen wollt, so haben auch sie die gerechtesten Ansprüche auf Empfehlung an euch. Denn auch sie sind „Brüder von uns und Abgesandte der Kirchen,“ d. h. von den Kirchen gesendet. Dann was das Höchste von Allem ist, sie sind „Ruhm Christi“ (an ihnen wird Christus verherrlicht); denn auf Christus geht Alles zurück, was man immer ihnen erweist. Möget ihr sie nun als Bruder aufnehmen oder als Abgesandte der Kirchen oder in Absicht der Verherrlichung Christi, so habt ihr Beweggründe genug zum Wohlwollen gegen sie. Denn von Titus kann ich rühmen, daß er mein Genosse und euer Freund ist, von Diesen aber, daß sie Brüder, daß sie Abgesandte der Kirchen, daß sie Ruhm Christi sind.
Siehst du, wie auch daraus sich ergibt, daß sie den Korinthern unbekannt waren? Sonst hätte Paulus gewiß an ihnen Dasselbe gerühmt wie an Titus, nämlich ihre Liebe zu den Korinthern. Aber weil sie noch unbekannt waren, so mahnt er, Nehmt sie als Brüder auf, als Abgesandte der Kirchen und um der Verherrlichung Christi willen; darum heißt es weiter:
24. Den Erweis nun eurer Liebe und unseres Rühmens über euch zeiget gegen sie, im Angesichte der Kirchen.
Jetzt zeiget, will er sagen, wie ihr uns liebt, und daß wir nicht umsonst und vergeblich uns eurer rühmen; und ihr könnt Das zeigen, wenn ihr Diesen mit Liebe entgegenkommt. Und noch eindringlicher macht er die Rede, wenn er hinzufügt: „Im Angesichte der Kirchen,“ d. i. zum Ruhme, zur Ehre der Kirchen. Denn ehrt ihr diese Männer, sagt er , so habt ihr die Kirchen, von denen S. 305 sie gesendet werden, geehrt. Denn nicht auf sie allein bezieht sich die Ehre, sondern sie geht auch auf Jene über, von welchen sie gewählt und gesendet sind, und vor Allem auf die Verherrlichung Gottes. Denn wenn ihr Gottes Diener ehret, so geht die Ehre auf Gott selbst zurück. — „Vor der Gesammtheit der Kirchen.“ Auch Das ist nichts Geringes; denn groß ist die Macht der Gemeinschaft und besonders der Kirchen.
Erwäge, wie groß die Macht der Gemeinschaft ist! Das Gebet der Kirche hat den Petrus aus den Banden erlöst, hat dem Paulus den Mund erschlossen; und die Stimme der Versammelten gereicht Denen nicht zu geringer Ehre, die sich den geistlichen Ämtern widmen. Darum fordert auch der Weihende dann Alle zum Gebete auf, und Alle geben ihre Stimme und rufen laut die Worte, welche eben den Eingeweihten bekannt sind; denn es ist ja nicht erlaubt, vor den Uneingeweihten Alles zu enthüllen.
In Manchem dagegen ist gar kein Abstand zwischen Priester und Volk; so, wenn es sich um den Empfang der schauerlichen Geheimnisse handelt; denn gleichmäßig werden wir alle des Gleichen gewürdigt; nicht wie im alten Bunde, wo das Eine der Priester aß, das Andere der Untergebene, und wo es dem Volke nicht erlaubt war, an Dem Theil zu nehmen, was dem Priester gehörte. Aber nicht so hier, sondern für Alle dient ein Leib zur Speise und ein Becher zum Trank.
Und auch bei den Gebeten kann man sehen, daß das Volk wichtigen Antheil hat. Denn für die Energumenen, für die Büßenden geschehen gemeinsame Gebete von Priester und Volk, und Alle sprechen das gleiche Gebet, ein Gebet, das so flehentlich um Erbarmen ruft. Dann nachdem wir Diejenigen von den heiligen Schranken weggewiesen haben, die am heiligen Mahle nicht Theil nehmen dürfen, so wird wieder ein anderes Gebet ver- S. 306 richtet, und während dessen liegen wir alle gleichmäßig auf dem Boden und stehen dann alle gleichzeitig wieder auf. Und wiederum wenn der Friede zu empfangen und zu geben ist, so küssen wir uns gleichmäßig alle. Und mitten unter den schauerlichen Geheimnissen betet wieder der Priester für das Volk und das Volk für den Priester; denn die Worte: Mit deinem Geiste bedeuten nichts Anderes als dieses gegenseitige Gebet. Gemeinsam ist wieder die Danksagung; denn nicht bloß der Priester sagt Dank, sondern auch das gesammte Volk. Zuerst nämlich erbebt der Priester die Stimme, und sowie dann die Versammlung einstimmt, daß Dieses billig und gerecht sei, so beginnt er die Danksagung. Und was wunderst du dich, wenn einmal das Volk mit dem Priester seine Stimme vereinigt, da es ja gemeinsam mit den Cherubim und den himmlischen Mächten selbst jene heiligen Lieder zum Throne Gottes emporschickt?
Dieses alles aber habe ich zu dem Zwecke gesagt, damit Jeder auch aus dem gewöhnlichen Volke sich aufmerksam betheilige, damit wir lernen, wie wir alle ein Leib sind, wie wir nur so viel von einander verschieden sind wie Glieder von Gliedern, und daß wir nicht die ganze Last auf die Priester legen, sondern auch selbst als Glieder des gemeinsamen Leibes um die gesammte Kirche uns bekümmern. Denn Das verschafft uns das Gefühl größerer Sicherheit und bewirkt größeres Wachsthum in der Tugend.
Höre nur, wie zur Zeit der Apostel das Volk allenthalben Antheil an der Entscheidung hatte. Denn als sie die sieben Männer erwählten, benahmen sie sich zuerst mit dem Volke, und als Petrus den Matthias wählte, wandte er sich zuerst an die damals Anwesenden alle, Männer wie Frauen. Denn hier handelt es sich nicht um Überhebung der Herrschenden, noch um Unterwürfigkeit der Beherrschten, sondern es ist eine geistige Herrschaft, die zumeist dadurch überlegen ist, daß sie die meisten Mühen und Sorgen für S. 307 euch auf sich nimmt, nicht daß sie nach den meisten Ehren trachtet. Denn wie man ein einziges Haus bewohnt, so soll man die Kirche bewohnen, und wie die Glieder eines einzigen Leibes sollen Alle sich zu einander verhalten; gibt es ja auch nur eine Taufe und einen Tisch und eine Quelle, nur eine Schöpfung und einen Vater. Warum sind wir also getrennt, während so Vieles uns verbindet, warum sind wir so zerrissen? Denn leider sehen wir uns wieder gezwungen, das Nämliche zu beklagen, was wir schon oftmals beweint haben; ja, bejammernswerth ist die gegenwärtige Lage; so sehr sind wir unter einander zerrissen, während wir doch die Verbindung eines einzigen Leibes darstellen sollten! Dann könnte der Höhere auch vom Geringeren gewinnen. Wenn Moses von seinem Schwiegervater Nützliches lernte, auf das er selbst nicht kam, um so mehr würde dann in der Kirche Das geschehen. Und warum sah wohl damals der Geistige nicht, was der Ungläubige sah? Damit das ganze Volk erkannte, daß Moses ein Mensch sei, daß er zu Allem, mochte er nun das Meer scheiden oder Felsen spalten, der Kraft Gottes bedürfe; und daß jenes nicht Werke der menschlichen Natur, sondern der Allmacht Gottes seien. So soll auch jetzt, wenn der Eine nicht das Heilsame findet, ein Anderer aufstehen und reden.
Und ist Dieser auch geringer, aber bringt etwas Heilsames vor, so tritt seiner Meinung bei; und wäre er auch der Mindeste von Allen, so mißachte ihn nicht. Denn Keiner steht so den Mitmenschen nach, wie dem Moses sein Schwiegervater; und doch verschmähte es dieser nicht, auf ihn zu hören, ja er nahm auch dessen Rath an und befolgte ihn; und er hat ihn sogar aufgeschrieben und sich nicht geschämt, den Vorgang der Nachwelt zu überliefern, um so den Hochmuth der Meisten zu beschämen. Darum hat er ihn wie auf eine Säule in die Geschichte seines Lebens eingeschrieben und uns hinterlassen; denn er wußte, daß die Kenntniß davon Vielen nützlich sein werde.
S. 308 So sehen wir denn nicht hochmüthig über Jene hinweg, welche das Beste rathen, mögen sie nun auch zu den Untergebenen und zu den Geringsten gehören; und verlangen wir nicht, es müsse Das, was gerade wir vorbringen, um jeden Preis zur Geltung kommen; vielmehr soll Das, was sich als zuträglich erweist, von Allen angenommen werden. Denn gar manchmal sieht ein schwaches Auge eher Etwas als ein scharfes, weil es eben eifrig und gespannt auf die Sache schaut. Und sage nicht: Was ziehst du mich dann zu Rathe, wenn du nicht befolgen willst, was ich sage! Solche Vorwürfe zeigen den Tyrannen an, nicht den Rathgeber. Denn der Rathgeber ist bloß berechtigt, seine Meinung zu äussern; wenn aber etwas Anderes sich als nützlicher erweist, und er will trotzdem seinen Rath befolgt wissen, so ist er, wie gesagt, kein Rathgeber mehr, sondern ein Tyrann. Nicht so wollen wir es also machen, sondern fern aller Überhebung und Anmaßung wollen wir darauf sehen, nicht daß unsere Meinung durchdringe, sondern daß der beste Rath zur Annahme komme, wenn er auch nicht von uns ist ausgegangen. Denn so werden wir nicht wenig gewinnen, wenn wir auch selbst das Rechte nicht finden, aber doch das von Anderen Vorgebrachte annehmen; dann werden wir von Gott reichen Lohn bekommen und auch hier am meisten zu Ansehen gelangen. Denn wenn Der, welcher den besten Rath gibt, weise ist, so werden auch wir, die ihn annehmen, das Lob der Einsicht und Wohlgesinntheit ärnten. Wenn so Häuser und Städte, wenn so die Kirche verwaltet wird, so wird Alles gedeihlicher sich gestalten; auf diese Weise werden auch wir das gegenwärtige Leben am besten einrichten und endlich der künftigen Güter theilhaftig werden. Mögen uns diese allen zu Theil werden durch die Gnade und Güte u. s. w. Amen.