I.
10. Der aber Samen darreicht dem Säenden, möge auch Brod zum Essen reichen und vervielfältigen eure Saat und mehren die Erzeugnisse eurer Gerechtigkeit.
Hier muß man vor Allem wieder des Apostels Weisheit bewundern. Denn gleichwie er vorher bei der Ermahnung Göttliches und Menschliches zu seinem Zwecke benützt hat, so vereist er auch hier beim Lohne auf eine doppelte Vergeltung, eine geistige und eine irdische. Wenn er nämlich sagt: „Er hat ausgestreut, hat den Armen gegeben, seine Gerechtigkeit währt in Ewigkeit,“ so meint er damit die geistige Vergeltung; und wenn es heißt: „Gott möge vervielfältigen eure Saat,“ so bezieht sich Das auf die irdische Belohnung. Doch ohne dabei stehen zu bleiben, geht er nochmals auf das Geistige über und stellt so fortwährend beide Arten von Belohnun- S. 325 gen neben einander. Denn die Worte: „Er möge mehren die Erzeugnisse eurer Gerechtigkeit“ gehen wieder auf Geistiges. Diese Mannigfaltigkeit wendet er in der Absicht an, jene feigen und kleinlichen Einwände um so gründlicher zu zerstören und die Furcht vor Armut durch vielfache Gründe wie auch durch die gegenwärtige Vergleichung zu verbannen. Wenn nämlich Gott schon Denen gibt, die das Land besäen, wenn er Denen Überfluß gewährt, die den Leib nähren, um wie viel mehr wird dann Denen geben, die das himmlische Feld bebauen, d. h. sich die Sorge für die Seele angelegen sein lassen; den Gott will ja, daß wir darauf am meisten unser Augenmerk richten. Doch stellt Paulus Das nicht als einfache Folgerung dar; er sagt nicht: Gott wird euch reichen, sondern er wählt vielmehr die Form des Gebetes. Das benimmt jener Folgerung Nichts an Bestimmtheit, ist aber geeignet die Hoffnung der Korinther noch mehr zu beleben, indem sie nicht bloß auf sichtbare Vorgänge, sondern auch auf dieses Gebet sich stützen können. Denn er sagt: „Gott möge (Brod zum Essen) reichen und vervielfältigen eure Saat und mehren die Erzeugnisse eurer Gerechtigkeit.“ Hier hat er entschieden wieder die Reichlichkeit des Gebens im Auge; denn in den Worten: „Er mög vervielfältigen und mehren“ liegt Das enthalten. Zugleich aber gestattet er, einzig nur nach dem Nöthigen zu trachten; „Brod zum Essen,“ sagt er. Denn Das ist es, was man so sehr an ihm bewundern muß, und was er auch früher schon so empfohlen hat, daß er uns nämlich in den Bedürfnissen des Lebens nur nach dem Nothwendigen zu verlangen erlaubt, dagegen in den geistigen Gütern nach Fülle und Reichthum zu streben mahnt.
Darum sagte er weiter oben: „Damit ihr bei genügendem Auskommen überströmet an jeglichem gute Werke;“ und hier wieder: „Der Brod darreicht zum Essen, möge vervielfältigen eure Saat,“ d. i. die geistige Saat. Er wünscht nämlich nicht bloß Almosen, S. 326 sondern reichliches Almosen. Darum spricht er auch fortwährend von einer Saat. Denn gleichwie aus dem hingestreuten Samen blühende Saaten sprossen, so erwachsen auch aus dem Almosen reichliche Garben der Gerechtigkeit und eine Fülle der Früchte. Solchen Segen nun wünscht er ihnen und zeigt dann, wie man ihn verwenden soll, wenn er sagt:
11. Daß ihr in Allem reich seiet zu jeglicher Milde, welche durch uns Danksagung gegen Gott bewirkt;
daß ihr nämlich Gottes Gaben nicht auf Unnützes verwendet, sondern für Das, was innigen Dank gegen Gott bewirkt. Denn Großes hat Gott in unsere Hände gelegt; für sich hat er das Geringere behalten und uns das Größere überlassen. Während er nämlich Sorge trägt für die sichtbare Nahrung, hat er die Sorge für die unsichtbare uns übertragen; denn auch in unserer Macht liegt es, blühende Saatfelder aufsprossen zu lassen. Da bedarf es weder des Regens noch des Wechsels der Jahreszeiten; da kommt es einzig nur auf unseren Willen an, und es erhebt sich eine Saat bis zur Höhe des Himmels. Unter der Milde aber versteht hier Paulus die Reichlichkeit, „welche durch unsere Vermittlung Danksagung gegen Gott bewirkt.“ Denn was die Korinther thun, ist nicht bloß ein Werk des Almosens, sondern auch Grund und Anlaß zu inniger Danksagung gegen Gott; ja nicht allein zur Danksagung, sondern auch zu vielem anderen Guten. Und weiterhin führt Paulus dieses viele Gute an, um durch Hinweis auf den reichen Segen ihre Bereitwilligkeit zu vermehren. Worin besteht nun all dieses Gute? Hören wir die Worte des Apostels!
S. 327 12. 13. 14. Weil der Dienst bei dieser Verrichtung den Mangel der Heiligen nicht bloß ersetzt, sondern sogar überflüssig ersetzt unter vielen Danksagungen gegen Gott; indem sie in Folge der Bewährtheit dieses Dienstes Gott verherrlichen wegen des Gehorsams eures Bekenntnisses gegen das Evangelium und wegen der Reichlichkeit der Mittheilung an sie und an Alle, und durch ihr Gebet für euch; indem sie nach euch sich sehnen wegen der überschwänglichen Gnade Gottes an euch.
Damit will Paulus sagen: Für’s Erste ersetzt ihr, was den Heiligen mangelt, und zwar überflüssig, d. h. ihr gebt mehr, als sie nöthig haben; sodann sendet ihr durch ihren Mund Lobpreisung zu Gott empor. Denn sie verherrlichen Gott, weil ihr so gehorsam seid gegen euer Bekenntniß. Nicht die Gaben allein sind es, will er sagen, welche jene Heiligen zur Danksagung bewegen; sie haben zu ihrem Danke vielmehr höhere Gründe. Und was der Apostel von sich selbst den Philippern gegenüber versichert, wenn er sagt: „Ich verlange nicht nach euren Gaben,“1 Das bezeugt er hier auch von diesen Heiligen. Wohl freuen sie sich, daß ihr ihren Mangel ersetzt und ihre Noth lindert; aber noch mehr freuen sie sich, daß ihr so gehorsam seid gegen das Evangelium, was eben eure reichlichen Gaben beweisen. Denn so ist es Vorschrift des Evangeliums. — „Und wegen der Reichlichkeit der Mittheilung an sie und an Alle.“ Auch darum verherrlichen sie Gott, will er sagen, weil ihr nicht bloß gegen sie, sondern gegen Alle so freigebig seid. Darin liegt wieder ein Lob für jene Heiligen, wenn sie auch für die Gaben, welche Andere empfangen, Gott danken. Sie sehen, versichert Paulus, nicht S. 328 ausschließlich auf sich allein; sie sind auch auf Andere bedacht, obschon sie in äusserster Armuth leben; und das ist ein Beweis ihrer hohen Tugend. Denn Nichts ist eifersüchtiger als das Geschlecht Derer, die vom Almosen leben. Doch jene Heiligen wissen von dieser Leidenschaft Nichts; und statt sich über eure Gaben an Andere zu betrüben, freuen sie sich vielmehr darüber, und zwar in nicht minderem Grade als über Das, was sie selbst empfangen. — „Und durch ihr Gebet für euch.“ Für all Dieses nun, will er sagen, danken sie Gott; wegen der Liebe aber und des Verlangens nach euch bitten sie Gott um die Gnade, euer Angesicht schauen zu dürfen. Und diese Sehnsucht hegen sie nicht um der Gaben willen, sondern um mit eigenen Augen die Gnade zu schauen, die euch verliehen ist.
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Phil. 4, 17. ↩