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Werke Johannes Chrysostomus (344-407) In epistulam ii ad Corinthios argumentum et homiliae 1-30 Homilien über den zweiten Brief an die Korinther (BKV)
Einundzwanzigste Homilie.

IV.

Dem Apostel nun wollen auch wir nach Vermögen nachahmen! Und was sage ich: nach Vermögen? Es kann ja Jeder, der will, nahe an ihn herantreten und seinen Heldenmuth schauen und seine Tapferkeit nachahmen. Denn noch immer thut er, was er ehedem gethan: er zerstört Vernunftschlüsse und jegliche Erhöhung, die sich erhebt wider die Erkenntniß Gottes. Zwar haben ihn viele Irrlehrer zu zerstückeln versucht, aber selbst in den Gliedern erweist er noch seine gewaltige Kraft. Auf ihn berufen sich Marcion und die Manichäer, aber sie zerstückeln ihn; und trotzdem werden sie auch so noch von den Gliedern überführt. Denn eine einzige Hand dieses Helden, S. 344 bei ihnen ist, jagt sie über Hals und Kopf in die Flucht; und ein einziger Fuß, der bei Anderen sich findet, verfolgt und überwältigt sie, damit du die Überlegenheit seiner Macht kennen lernest, und wie er selbst verstümmelt noch im Stande ist, alle Widersacher zu überwinden.

„Aber Etwas muß doch verkehrt sein,“ sagst du, „wenn im gegenseitigen Widerstreit sich Alle auf ihn berufen.“ Freilich ist Etwas verkehrt, aber suche es nur nicht bei Paulus, sondern bei Denen, die sich auf ihn berufen. Denn er ist nicht etwa vieldeutig, sondern einfach und klar; Diese aber wenden und drehen seine Aussprüche nach ihren besonderen Meinungen. „Und warum redet er denn so, daß er jedem Beliebigen eine Handhabe bietet?“ Nicht er bietet sie, sondern diese nimmt sich der Aberwitz jener Leute; sie machen von seinen Worten einen ungehörigen Gebrauch. So ist es ja auch mit der gesammten Welt; sie ist groß und bewundernswerth und gibt Zeugniß von der Weisheit Gottes, und „die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und der Tag bringt dem Tag die Kunde, und die Nacht verkündet’s der Nacht;“1 aber trotzdem haben Viele an ihr Anstoß genommen, und zwar aus entgegengesetzten Gründen; die Einen bewunderten sie so über Gebühr, daß sie dieselbe für Gott hielten, die Andern mißkannten so sehr ihre Schönheit, daß sie ihnen der schöpferischen Thätigkeit Gottes unwürdig schien, und sie das Meiste an ihr einer Art bösem Urstoffe zuschrieben. Gleichwohl aber hat Gott gegen beiderlei Verirrung Vorsorge getroffen; er hat einerseits die Welt schön und groß gemacht, damit man sie nicht für unangemessen seiner Weisheit halte, und andererseits mangelhaft und unzulänglich, damit man hinter ihr nicht Gott selbst ver- S. 345 muthe. Aber dennoch verfielen Manche, von ihren eigenen Einfällen geblendet, auf entgegengesetzte Vorstellungen; und so überführen sie einander selbst und werden sich gegenseitig zu Anklägern und rechtfertigen so durch ihre eigenen Verirrungen die Weisheit Gottes. Und was rede ich von Sonne und Himmel? Vor den eigenen klugen sahen die Juden so große Wunder geschehen, um alsbald sich vor dem Kalbe in den Staub zu werfen. Wiederum sahen sie Christus Teufel austreiben und nannten ihn selbst besessen. Aber der Vorwurf trifft nicht Den, der sie austrieb, sondern die Schuld in der Verblendung ihres Herzens. Suche darum hier die Schuld nicht bei Paulus, wenn Manche ihn verkehrt auslegen und so in Irrthümer gerathen; bemühe dich vielmehr, den Schatz, der in ihm liegt, kennen zu lernen und seinen Reichthum zu entfalten, und du wirst unter dem Schirme seiner Waffen gegen Alle heldenmüthig stehen und Juden und Hellenen zum Schweigen bringen!

„Und wie kann ich Das,“ frägst du, „wenn sie ihm nicht glauben?“ Du brauchst nur auf seine Thaten zu verweisen, auf die Umgestaltung der ganzen Welt. Das lag in keiner menschlichen Macht, so Großes zu Stande zu bringen, sondern die Kraft des Gekreuzigten, die ihn durchglühte, hat ihn zu Dem gemacht; diese hat ihn über Redner und Weise, über Fürsten und Könige triumphiren lassen. Ja er beschränkt sich nicht darauf, selbst zu den Waffen zu greifen und die Gegner niederzuwerfen, sondern er vermag auch Andere dazu tüchtig zu machen.

Damit wir nun uns selbst und Andern nützlich werden, so wollen wir den Paulus unablässig in Händen haben und mehr wie an Auen und Gärten uns an seinen Schriften ergötzen. Denn so werden wir im Stande sein, das Böse abzulegen und den Weg der Tugend zu S. 346 betreten und so der verheissenen Güter teilhaftig zu werden, durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre jetzt und immer und zu ewigen Zeiten. Amen.

S. 347


  1. Ps. 18, 1. 2. ↩

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Homilien über den zweiten Brief an die Korinther (BKV)

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