III.
Dieses sagt der Apostel nicht etwa, als hätte er selbst auf sich vertraut, durchaus nicht, sondern was er von sich sagt, soll Anderen zur Lehre dienen und zugleich seiner Bescheidenheit Ausdruck geben. So sagt er auch einmal in der Folge: „Gegeben wurde nur ein Pfahl meinem Fleische, das ist die Verfolgungen, damit ich mich nicht überhebe.“1 Gott der Herr aber nennt für seine Zulassung einen anderen Grund, nämlich das stärkere Hervorleuchten der göttlichen Macht. Denn der Herr sprach: „Es genügt dir meine Gnade; denn meine Kraft entfaltet ihre volle Wirk- S. 33 samkeit in der Schwachheit.“ Aber so ist es die gewohnte Weise des Paulus, daß er immer unter den Minderen seinen Platz wählt, wenn diese auch noch so sehr der Führung und Belehrung bedürfen. Denn wenn schon gewöhnliche Menschenkinder durch die eine oder andere Heimsuchung zur Einsicht ihrer Schwäche kommen, wie sollte Paulus, der mehr als alle Menschen sein Leben lang die Demuth geübt, der geduldet hat, was nie ein Sterblicher, wie sollte er nach so vielen Jahren, bei einer Weisheit würdig der Himmel solch eine Mahnung nöthig haben? Nein, es ist nur Kundgebung der Demuth und zugleich eine Beschämung des hochmüthigen Prahlens seiner Gegner, wenn er sagt: „Damit wir nicht auf uns vertrauen, sondern auf Gott.“ Und wie herzgewinnend ist seine Rede! Denn die Drangsale, sagt er, ließ Gott über uns kommen um euretwillen; so viel geltet ihr bei Gott; denn „sei es daß wir bedrängt werden, so ist es wegen eueres Trostes und Heiles.“ Aber das Übermaß hat in uns selbst den Grund; es soll uns vor Selbstvertrauen bewahren. „Denn über die Maßen sind wir beschwert worden, über Vermögen, damit wir nicht auf uns selbst, sondern auf Gott vertrauen, — welcher die Todten auferweckt.“ Mit diesen letzteren Worten erinnert der Apostel wieder an die Lehre von der Auferstehung, die er im ersten Briefe so ausführlich behandelt hat, und bekräftigt diese Lehre durch Erfahrungen aus dem Leben. Darum fährt er fort:
10. Der aus so vielfachem Tode uns herausgerissen.
Er sagt: „aus so vielfachem Tode,“ nicht: aus so großen Gefahren, um das Unüberwindliche jener Drangsale anschaulich zu machen und zugleich die genannte Lehre zu erhärten. Denn wenn Gott einen Menschen, der hoffnungslos schon vor den Pforten der Unterwelt steht, wieder herausführt, wenn er Den, der schon hineingestürzt, S. 34 wieder aus dem Rachen des Todes reißt, so stellt er uns nichts Anderes als ein Beispiel der Auferstehung vor Augen. So sagen auch die Leute von einem Menschen, der wider alles Erwarten aus tödtlicher Krankheit sich erholt oder aus unleidlichen Drangsalen sich herausgerungen hat: An Dem haben wir die Auferstehung der Todten gesehen. — *„Auf Den wir fest hoffen, daß er auch ferner uns erretten wird.“
11. Da auch ihr mithälfet in dem Gebete für uns, damit aus Vieler Antlitz für das uns durch Viele gewordene Gnadengeschenk Gott Dank gesagt werde für uns.
Die Worte: „Damit wir nicht auf uns vertrauen, sondern auf Gott“ schienen wie ein allgemeiner Vorwurf sich auszunehmen, wie eine Anklage, die ihre Spitze gegen Manche von ihnen richtete; daher mildert Paulus das Gesagte wieder, indem er die schützende Kraft ihrer Fürbitte hervorhebt, zugleich mit dem Hinweis, daß wir immerdar unser Leben lang zum Kampfe gerüstet stehen müssen.
Denn die Worte: „Wir hoffen, daß er auch ferner uns erretten wird“ kündigen neue Gefahren an ohne Zahl, aber auch niemals Verlassenheit, sondern stets neue Hilfe, neuen Beistand Gottes. Indeß sollten die Gläubigen nicht verzagen, wenn sie von neuen endlosen Bedrängnissen hörten. Darum hat ihnen Paulus vorher den Segen der Trübsale dargestellt. Und worin besteht dieser? Die Drangsale sind das Mittel, durch das uns Gott beständig in der Demuth erhält, „damit wir nämlich nicht auf uns selbst vertrauen“; die Drangsale sind Arbeit am Heilswerke der Menschen. Und weiters: Die Leiden geben Antheil an Christus; denn „überreichlich“, heißt es, „sind in uns die Leiden Christi;“ die Leiden sind ein Segen für die Gläubigen; denn „mögen wir bedrängt werden, so ist es zum S. 35 besten eueres Trostes und Heiles;“ die Leiden offenbaren und mehren das Heil, „das ja gewirkt wird im Ertragen der gleichen Leiden, die auch wir dulden;“ die Leiden wirken Kraft und Ausdauer. Und ferner: Die Gefahren rücken vor unsere Augen die Auferstehung; denn „aus so vielfachem Tode,“ sagt er, „hat uns Gott herausgerissen.“ Die Gefahren erhalten die Bereitschaft zum Kampfe und das lebendige Vertrauen auf Gott, „auf den wir fest hoffen, daß er fernerhin uns erretten wird;“ die Gefahren bewirken endlich Beharrlichkeit im Gebete; denn „indem auch ihr mithelft in eurem Gebete für uns,“ hoffen wir, daß Gott uns ferner erretten wird. Das ist nach der Darstellung des Apostels der Gewinn der Trübsale, das sind die Preise, durch die er seine Gläubigen zum Kampfe ermuntert. Und jetzt sucht er wieder ihre Herzen zu erheben und zur Übung der Tugend anzufeuern, indem er ihren Gebeten einen großen Erfolg zuschreibt, nämlich daß sie durch dieselben die Erhaltung des Paulus als Gnadengeschenk empfangen hätten; denn „da auch ihr mithalfet in eurem Gebete für uns,“ hat Gott uns errettet. Was sagen aber die Worte: „Damit aus Vieler Antlitz für das uns durch Viele gewordene Gnadengeschenk Gott Dank gesagt werde für uns“? Damit will er sagen: Gott hat uns errettet aus jenem vielfachen Tode, „da auch ihr mithalfet in eurem Gebete für uns,“ weil ihr nämlich alle für mich gebetet habt. Denn das uns gewordene Gnadengeschenk, die Rettung unseres Lebens, hat Gott euch allen gnädig gewähren wollen, damit die vielen Antlitze ihm Dank sagen, nachdem auch die Vielen das Gnadengeschenk empfangen.
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II. Kor. 12, 7. ↩