III.
Siehst du, wie er auf die Korinther allein die ganze Schuld wie für die Anmaßung der Gegner, so auch für seine eigene anscheinende Unverständigkeit legt? Nicht um meinen eigenen Glanz zu erhöhen, sagt er, sondern um euch von dieser argen Knechtschaft zu befreien, bin ich gezwungen, mich ein Weniges zu rühmen. Man darf also nicht ausschließlich auf die Worte schauen, sondern muß auch an die Veranlassung denken. So hat auch Samuel ausführlich sein Lob verkündet, als er bei der Salbung des Saul fragte: „Habe ich von euch Jemands Esel oder Kalb oder Schuh genommen? Oder habe ich Jemand von euch gewaltsam unterdrückt?“1 Und doch tadelt ihn S. 392 darob Niemand. Und warum? Weil er es nicht sagt, um sich zu brüsten, sondern um den König, den er eben aufstellen wollte, in Weise der Ablegung der Rechenschaft zu belehren, daß er sanft und milde sein müsse. Und beachte die Einsicht des Propheten oder vielmehr die Menschenfreundlichkeit Gottes! Denn solange Samuel den Söhnen Israels ihr Vorhaben auszureden suchte, sprach er viel Nachtheiliges vom künftigen Könige: die Frauen müßten auf des Königs Mühlen mahlen, die Männer seine Heerden hüten, seine Maulthiere warten, — denn er entwarf eine ausführliche Schilderung von der ganzen Dienstbarkeit gegen den König; — nachdem er aber sah, daß sie durch Nichts sich abbringen ließen, daß ihre Krankheit unheilbar sei, so erbarmt er sich ihrer dennoch und leitet den König zur Milde an. Darum ruft er auch ihn selbst zum Zeugen auf. Denn es rechtete ja damals Niemand mit ihm, es machte ihm Niemand Vorwürfe, daß er sich hätte rechte fertigen müssen, seine Absicht ist bei diesen Worten nur die, dem neuen König den rechten Weg zu weisen. Darum fuhr er auch, um keinen Stolz in ihm aufkommen zu lassen, also fort: „Wenn ihr hört und euer König,“ so werden euch diese und jene Güter zu Theil werden; hört ihr aber nicht, dann von Allem das Gegentheil. So spricht auch Amos: „Ich war nicht Prophet und nicht Sohn eines Propheten; Ziegenhirt war ich, Maulbeeren pflückend. Und Gott hat mich aufgenommen.“2 Dieß sagt er nicht, um sich zu erheben, sondern um die zum Schweigen zu bringen, die ihn nicht als Propheten anerkennen wollten, um zu zeigen, daß er nicht mit Trug handle, daß er nicht eigenmächtig rede. Und ein Anderer drückt wieder das Nämliche mit den Worten aus: „Ich war erfüllt mit der Kraft des Herrn im Geiste und in der Macht. So hatte auch David bei der Erzählung des Vorganges mit dem Bären und dem Löwen nicht seinen S. 393 eigenen Ruhm, sondern ein großes und erhabenes Ziel im Auge. Man wollte nicht glauben, er könne unbewehrt den Riesen überwinden, da er nicht einmal die Rüstung tragen konnte; daher sah er sich genöthigt, die ihm innewohnende Tapferkeit zu beweisen. Und als er den Saum vom Gewande Sauls hinweggenommen, da war es ihm bei seinen Worten wiederum nicht um seine Verherrlichung zu thun, sondern um die Abwehr des falschen Verdachtes, den seine Freunde gegen ihn ausstreuten, als ob er dem Könige nach dem Leben strebe.
So muß man also überall auf Grund und Absicht sehen. Wer nur das Wohl der Hörenden im Auge hat, der mag sich rühmen, so viel er will; er verdient darum doch keinen Tadel, vielmehr Lob und Anerkennung; ja sein Schweigen würde Tadel verdienen. Denn hätte David damals im Angesichte des Goliath geschwiegen, so hätten sie ihn den Kampf nicht aufnehmen lassen, und er hätte nicht jenen herrlichen Sieg errungen. So sprach denn David aus Nothwendigkeit, und zwar nicht zu den Brüdern, sondern zum Könige; denn diese hätten ihm doch nicht geglaubt, da ihnen der Neid die Ohren verschloß. Darum läßt er die Brüder und spricht zu Dem, der noch nicht scheelsüchtig auf ihn schaute.
Denn etwas Arges ist die Scheelsucht, etwas sehr Arges; sie bringt es zuletzt dahin, daß man sogar über die eigene Wohlfahrt hinwegsieht. So brachte Kain Verderben über sich selbst und vor ihm wieder der Teufel, der dessen Vater gestürzt hatte. So rief Saul einen schlimmen Geist wider die eigene Seele; und nachdem er ihn gerufen, sah er wieder mit scheelem Auge auf den Arzt. So ist es das Wesen des Neides. Saul wußte, daß ihn David gerettet habe, und wollte doch lieber nicht gerettet sein als den Ruhm seines Retters schauen. Was ist wohl schlimmer als diese Leidenschaft? Mit Fug und Recht kann man sie eine Ausgeburt der Hölle nennen; und ihre S. 393 Frucht oder vielmehr ihre Wurzel ist die Ehrsucht, denn von diesen beiden Lastern ist das eine Frucht und Wurzel des anderen. So ward denn auch Saul von Mißgunst erfüllt, als sie riefen: „David hat Zehntausend erschlagen;“3 und was kann wohl unvernünftiger sein?
Woher denn, frage ich, deine Mißgunst? Weil Der oder Jener Einen gelobt hat? Da solltest du wahrlich dich eher freuen; und überdieß weißt du nicht einmal, ob das Lob wirklich begründet ist. Und darüber grämst du dich, daß Einer unverdient gelobt wurde? Da sollte man ihn fürwahr eher bemitleiden. Denn ist er wirklich gut und edel, so neidet ihm Niemand das Lob; Jedermann stimmt in seine Lobpreisung ein; ist er es aber nicht, was grämst du dich? Was richtest du gegen dich selbst das Schwert? Etwa weil er bewundernswerth ist in den Augen der Menschen? Aber die Menschen sind heute, und morgen sind sie nicht mehr. Oder weil er sich des Ruhmes erfreut? Welchen Ruhmes, sage mir, etwa dessen, von dem der Prophet sagt, daß er ist wie die Blüthe des Grases? Darum also bist du mißmuthig, weil diese Bürde dir fehlt, weil du keine solche Last von Gras herumschleppst? Wenn Jener dir darum so beneidenswerth erscheint, warum denn nicht auch die Holzarbeiter, die Tag für Tag mit ihren Lasten in die Stadt kommen? Denn um Nichts besser ist die Bürde des Ruhmes, oder vielmehr noch schlimmer. Denn jene irdische Last drückt bloß den Leib; diese geistige aber schadet gemeiniglich der Seele und verursacht mehr Angst als Freude. So ist z. B. bei einem großen Redner die Furcht größer als die Freude über das Lob. Denn diese Freude ist kurz, die Furcht aber beständig. Oder nehmen wir an, es erfreue sich Jemand der Gunst der Machthaber. Auch hier lauert wiederum Neid und Gefahr. Denn wie du gegen ihn gesinnt bist, so sind es auch S. 395 viele Andere. „Aber er wird doch immerfort gelobt.“ Das wird zur drückenden Knechtschaft. Denn er darf nicht wagen, nach seiner Überzeugung zu handeln, aus Furcht, bei Denen anzustoßen, die ihn verherrlichen ; und so wird ihm der glänzende Name zur schweren Fessel. Je weiter daher sein Name sich verbreitet, desto mehr Herren bekommt er, desto mehr wächst seine Abhängigkeit, indem sich ihm überall Herren darstellen. Der Diener, der vom Angesichte seines Herrn weggegangen, athmet auf und bewegt sich in voller Freiheit; der berühmte Mann aber trifft überall auf Herren, denn er ist der Diener Aller, die auf offener Straße sich zeigen. Und zwingt ihn auch ein nothwendiges Geschäft noch so zur Eile, so wagt er es doch nicht, auf den Marktplatz zu kommen, wenn nicht die Diener mit dem Rosse folgen, wenn nicht das übrige Schaugepränge beisammen ist; er möchte sonst seinen Herren mißfallen. Und sieht er einen vertrauten Freund, so hat er nicht den Muth, mit ihm wie mit Seinesgleichen zu reden; aus Furcht, er möchte bei seinen Herren an Ansehen verlieren. Je schimmernder daher der Glanz, desto größer die Abhängigkeit. Und begegnet ihm etwas Widriges, so ist die Schmach um so größer, je mehr Augen auf ihn gerichtet sind, und je weniger die Sache seinem Range zu entsprechen scheint. Und nicht bloß die Schmach, sondern auch das Unglück. Denn Viele gibt es. die sich darüber freuen, wie es auch in den Tagen des Glückes für ihn Viele gibt, die mit Neid und Mißgunst auf ihn schauen und ihm sein Glück geraubt sehen möchten.
Ist nun Das, frage ich, ein Gut? Ist Das Ruhm? Weit entfernt; Das ist Schmach und Knechtschaft, Das sind Bande und der Inbegriff von Allem, was Bürde heißt. Wenn dir aber auch so noch der Ruhm vor den Menschen so wünschenswerth erscheint, wenn dich der laute Beifall im Innersten aufregt, mit dem Der oder Jener von der Menge empfangen wird, so rathe ich dir, sobald du ihn des Beifalls genießen siehst, so erhebe deine Gedanken zum künf- S. 396 tigen Leben und zum dortigen Ruhme; und wie du beim Nahen eines wilden Thieres, um dich zu retten, eilig in’s Haus fliehst und die Thüren schließest, so nimm auch hier deine Zuflucht zum künftigen Leben und zu jenem unaussprechlichen Ruhme. So wirst du den irdischen mit Füßen treten und den himmlischen gewinnen; so wirst du hier der wahren Freiheit genießen und dort einst der ewigen Güte. Mögen diese uns allen zu Theil werden durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre jetzt und immer und zu ewigen Zeiten. Amen.