III.
Dem Apostel wollen denn auch wir nacheifern! Denn ein großer Fehler ist der Mangel an Liebe; und er wird noch größer, wenn man auch noch die Liebe nicht mit Liebe erwidert. Wenn nämlich schon Der, wel- S. 433 cher nur den Freund liebt, Nichts vor den Zöllnern voraus hat, so steht wohl Der unter den Thieren, der auch Dieses nicht thut. Was denkst du, o Mensch? Du liebst Den nicht, der dich liebt? Und wozu lebst du dann? Zu was bist du ferner noch nützlich? zu welchen Diensten, seien es öffentliche oder besondere? In gar keiner Weise; denn Nichts ist unnützer als ein Mensch, der nicht zu lieben weiß. Selbst Räuber und Mörder und Tempelschänder haben Ehrfurcht vor diesem Gesetze, und mit wem sie einmal Salz gegessen, gegen Den sind sie umgewandelt; der Tisch hat ihre Art verändert; du aber hast nicht bloß Salz gemeinsam, sondern auch Worte und Werke, Eingänge und Ausgänge, und liebst nicht? Ja Solche, welche schimpflicher Liebe fröhnen, vergeuden ganze Vermögen an die Weiber der Schande; und du hättest eine so edle Liebe und bist so kalt und schwach und kraftlos, daß du nicht einmal ohne alles Opfer dich zur Liebe erschwingen kannst.
„Und wer,“ frägst du, „sollte so jämmerlich, so gefühllos sein, daß er von Dem, der ihn liebt, sich abwendet und ihn haßt?“ Von dir ist es zwar schön, daß du es wegen der Ungeheuerlichkeit der Sache nicht glauben willst; wenn ich aber nachweise, daß es viele Solche gibt, wie werden wir dann die Schande ertragen? So frage ich; wenn du Den, welchen du liebst, Übles nachredest, wenn du von Anderen üble Nachrede hörst und ihr nicht entgegentrittst, wenn du ihn um den guten Ruf beneidest, was ist dann das für eine Liebe? Nun genügt es aber noch nicht zur Freundschaft, wenn man bloß nicht beneidet, ebenso wenig, wie wenn man bloß nicht haßt oder sich feindselig beträgt; nein, der Liebende muß dem Freunde auch in Wort und That wirksam zur Hand gehen; wenn aber all’ sein Reden und Handeln nur darauf hinausgeht, den Nebenmenschen herabzusetzen, was ist dann jämmerlicher als eine solche Seele? Gestern und vor Kurzem noch Freund saßest du unter traulichen Gesprächen an gleichem Mahle; dann plötzlich, so wie du das Glied von dir zu Ehren und Ansehen kom- S. 434 men sahest, da hast du die Maske der Freundschaft abgeworfen und die der Feindschaft angelegt oder vielmehr die des Wahnsinns. Denn offenbarer Wahnsinn ist es, sich über das Glück des Nebenmenschen zu grämen: das heißt es zu machen wie rasende und wüthende Hunde. Denn gerade so wie solche Hunde, so fallen auch jene Menschen, die vom Stachel der Mißgunst getrieben werden, Alle grimmig an. Besser eine Schlange im Eingeweide als die Mißgunst im Herzen! Denn für die Schlange finden sich oftmals Mittel, sie auszuspeien; auch kann man sie durch Nahrung begütigen; der Neid aber windet sich nicht in den Eingeweiden, sondern haust im Innersten der Seele und ist ein kaum heilbares Übel. Und die Schlange im Innern greift den menschlichen Leib nicht an, wenn sie Nahrung genug hat; aber dem Neide magst du Mahle vorsetzen, so reichlich du willst, er zernagt doch noch die Seele selbst, indem er nach allen Seiten hin beißt und zupft und zerrt; und man kann für ihn kein Mittel der Linderung finden, durch das er von seiner Wuth abließe, ausser nur eines, des Glücklichen Mißgeschick; nur so läßt er nach, oder vielmehr auch so nicht. Denn geht es auch Diesem übel, so sieht er einen Anderen froh und glücklich, und es erfassen ihn wieder die alten Qualen; und so überall Wunden, überall Schläge. Denn man kann doch nicht auf Erden weilen, ohne gar keinen Menschen glücklich zu sehen. Und so weit geht beim Neidischen die krankhafte Verirrung, daß er selbst dann, wenn man ihn zu Hause einschließt, noch die Männer der Vorzeit beneidet, die schon längst gestorben sind. Und wenn Leute, die in der Welt leben, daran leiden, so ist Das wohl schlimm, aber noch nicht gar so arg; wenn aber auch Solche, die dem Geräusche der Welt entrückt sind, von dieser Krankheit erfaßt werden, so ist Das erst von Allem das Schlimmste.
Und gerne wollte ich schweigen! Ja, wenn mir das Schweigen auch die thatsächliche Schande hinwegnähme, so verlohnte es sich wohl, Nichts zu sagen; wenn aber, falls S. 735 ich schweige, nur um so lauter die Thatsachen rufen, so wird bei meinen Reden kein Nachtheil sein, als kämen dadurch unsere Übel zur allgemeinen Kenntniß, vielleicht sogar auch einiger Gewinn und Nutzen. Denn diese Seuche hat auch die Kirche erfaßt und Alles zu oberst und zu Unterst gekehrt; sie hat den Zusammenhang des Leibes zerrissen, und wir stehen einander feindlich gegenüber, vom Neide gewaffnet. Daher auch ein so tiefer Verfall. Denn wenn Alle aufbauen, so darf man schon zufrieden sein, wenn die Masse der Gläubigen so leidlich steht; wenn wir aber erst Alle niederreissen, was wird dann das Ende sein?