I.
16. 17. 18. Doch es mag sein, ich selbst war euch nicht beschwerlich; aber weil ich schlau bin, so habe ich euch mit List gefangen! Habe ich durch Einen von Denen, die ich an euch geschickt habe, euch übervortheilt? Ich habe den Titus gebeten und mit ihm den Bruder gesandt. Hat etwa Titus euch übervortheilt? Sind wir nicht in demselben Geiste gewandelt? Nicht in denselben Spuren?
Sehr dunkel sind diese Worte gehalten, jedoch mit Zweck und Absicht. Denn weil von Geld und Gut die Rede ist, und weil es sich um die Rechtfertigung in dieser Beziehung handelt, so ist das Gesagte ganz passend in ein gewisses Dunkel gehüllt. Welcher Gedanke liegt nun eigentlich zu Grunde? Paulus hat versichert: Ich habe keine Gaben genommen, ja ich bin bereit, sogar noch von dem Meinigen hinzuzugeben und aufzuopfern; und er hat hierüber bereits Vieles im ersten wie auch in diesem Briefe gesprochen. Hier nun spricht er anders, indem er das Wort den Gegnern in den Mund legt, um es im Voraus zu entkräften. Was er aber sagen will, ist ungefähr Dieses: Ich habe euch nicht ausgebeutet; doch könnte man vielleicht sagen: Ich selbst habe zwar Nichts genommen, weil ich aber schlau sei, so habe ich die von mir Ab- S. 440 gesandten veranlaßt, in ihrem eigenen Namen Gaben von euch zu verlangen, und durch sie habe ich sie bekommen, indem ich so klüglich den Schein wahre, während ich durch Vermittlung Anderer empfange. Aber auch Das kann Niemand sagen; und Zeugen Dessen seid ihr. Darum führt er auch die Rede fragend weiter und spricht: „Ich habe den Titus gebeten und mit ihm den Bruder gesandt. Hat wohl Titus euch übervorheilt?“ Ist nicht auch er gleich mir gewandelt? d. h. auch er hat Nichts angenommen. Siehst du die strengste Achtsamkeit, mit der er nicht nur die eigene Hand rein bewahrt, sondern auch die von ihm Abgesandten dazu bestimmt, um ja der Tadelsucht nicht den geringsten Anhaltspunkt zu geben? Das ist weit mehr, als was der Patriarch gethan hat.1 Denn als dieser vom Siege zurückkehrte und der König ihm Beute anbot, da erklärte er, Nichts zu nehmen, ausser was die Jünglinge verzehrt hatten. Paulus aber genoß weder für sich den nothwendigen Unterhalt, noch ließ er ihn den Gefährten zu Theil werden, um ja den Unverschämten recht gründlich den Mund zu schließen. Darum begnügt er sich auch nicht mit einer einfachen Versicherung und sagt etwa: Auch meine Gefährten haben Nichts angenommen; er ruft vielmehr, was viel nachdrücklicher wirken mußte, die Korinther selbst zu Zeugen für deren Uneigennützigkeit auf, um so nicht im eigenen Namen, sondern aus ihrem Munde die Wahrheit zu erhärten, was wir nur bei ganz ausgemachten Dingen, deren wir völlig sicher sind, zu thun pflegen. Saget nur, spricht er, ob Einer von Denen, die wir geschickt haben, euch übervortheilt hat. Er sagt nicht: ob Einer Etwas von euch empfangen hat; vielmehr nennt er die Sache Übervortheilung, den Korinthern zum Tadel und zu tiefer Beschämung; denn Übervortheilen heißt ja nehmen von Dem, der widerwillig gibt. Und er sagt nicht: ob Titus, son- S. 441 dern, ob Irgendeiner. Auch Das, will er sagen, könnt ihr nicht behaupten, daß wohl Der und Jener Nichts genommen, ein Anderer dagegen empfangen habe. Es ist auch nicht ein Solcher unter den Angekommenen. — „Ich habe den Titus gebeten.“ Auch Das nicht ohne gewisse Schärfe. Denn Paulus sagt nicht: Ich habe den Titus gesendet, sondern: „gebeten“, ein Ausdruck, mit dem er deutlich genug zu verstehen gibt, Titus hätte ein Recht gehabt, von ihnen Etwas zu empfangen; aber gleichwohl habe er seine Hand rein bewahrt. Darum frägt er sie wiederum und spricht: „Hat euch etwa Titus übervortheilt? Ist er nicht in demselben Geiste gewandelt?
Was heißt denn: „In demselben Geiste?“ Damit schreibt der Apostel Alles der Gnade zu. Dieses ganze Lob, will er sagen, ist nicht die Frucht unserer Mühen, sondern das Geschenk des Geistes und der Gnade. Denn es war ja Gnade im höchsten Grade, mitten in Mangel und Entbehrung um der Erbauung der Schüler willen Nichts anzunehmen. — „Nicht in denselben Spuren?“ Das heißt sie wichen nicht im Geringsten von dieser Strenge ab und sind genau derselben Richtschnur gefolgt.
19. Ihr meint wohl wieder, daß wir vor euch uns entschuldigen?
Siehst du, wie Paulus überall fürchtet, sich in den Schein der Schmeichelei zu setzen? Siehst du die apostolische Klugheit, mit der er Das immer wieder hervorhebt? Denn schon früher hat er gesagt: „Wir empfehlen uns nicht selbst wieder, sondern wollen nur euch Anhalt zum Rühmen geben;“2 und bei Beginn des Briefes schrieb S. 442 er: „Wir bedürfen doch nicht empfehlender Schreiben?“3 — „Alles aber um eurer Erbauung willen.“2 Wiederum ein milderndes Wort. Und auch hier sagt er nicht ausdrücklich: Eure Schwäche ist daran Schuld, daß wir Nichts annehmen; vielmehr gibt er als Grund ihre Erbauung an; und er spricht zwar deutlicher als früher und läßt durchblicken, worauf er eigentlich abziele, jedoch ohne sie verwunden zu wollen. Denn er sagt nicht: Wegen eurer Schwäche, sondern: Damit ihr erbaut* würdet.
20. Denn ich fürchte, ich könnte vielleicht, wenn ich komme, euch nicht so finden, wie ich wünsche, und auch von euch erfunden werden, wie ihr nicht wünscht.
Er will jetzt etwas Großes und Beschwerliches sagen. Daher die doppelte Entschuldigung, theils wenn er spricht: „Alles um eurer Erbauung willen,“ theils wenn er hinzufügt: „Ich fürchte,“ um so die Härte dessen, was er sagen will, zu mildern. Denn das ist nicht etwa die Sprache der Überlegenheit und der Macht, deren er sich als Lehrer bewußt ist, sondern Ausdruck der väterlichen Sorge und Liebe, wenn er selbst mehr fürchtet als Die, welche gesündigt haben, wenn er vor dem Mittel zittert, das sie bessern soll. Aber auch so fürchtet er noch, ihnen zu wehe zu thun, wenn er mit Bestimmtheit spräche; darum stellt er die Sache nur als möglich dar und sagt: „Ich könnte vielleicht, wenn ich komme, euch nicht so finden, wie ich wünsche.“ Er sagt nicht: tugendhaft, sondern: „wie ich euch wünsche,“ indem er in Allem die Sprache der Liebe redet. Und wenn er sagt: „Ich könnte euch finden,“ so drückt er damit aus, daß es gegen seine Erwartung wäre, und ebenso, wenn er spricht: „Ich könnte S. 443 von euch erfunden werden.“ Ich wünsche mir ja die Sache nicht, sondern es wäre mir ein Zwang, den ihr mir auferlegt. Darum sagt er: „Ich könnte erfunden werden, wie ihr nicht wünscht.“ Hier heißt es nicht: Wie ich nicht wünsche, sondern mehr drohend: „wie ihr nicht wünscht.“ Freilich war es auch sein Wunsch, zwar nicht an erster Stelle, aber doch sein Wunsch. Denn er konnte wieder sagen: Wie ich nicht wünsche, und so der Liebe Ausdruck geben; aber er will dem Hörer nicht alle Furcht benehmen. Ja es wäre dann die Rede sogar härter geworden; so aber verwundet sie tiefer und zeigt den Apostel in desto größerer Milde. Denn Das ist seiner Weisheit eigenthümlich: je tiefer er verwundet, desto sanfter ist seine Hand. Dann weil er dunkel gesprochen hat, so erklärt er sich jetzt deutlicher, wenn er sagt: „Daß nicht etwa Streit, Eifersucht und Bitterkeit, Nachrede, Verleumdung und Überhebung.“ Was an die erste Stelle gehörte, Das setzt er zuletzt; denn gegen ihn selbst erhob sich ihr Stolz. Damit es nun nicht scheine, als sei es ihm vornehmlich um sich selbst zu thun, so erwähnt er Dessen, was sie unter sich hatten, zuerst.